Heute ein kurzer, aber dafür hoffentlich umso wertvollerer Beitrag für alle Cellisten. Er ist auch als Verneigung vor dem großen Komponisten Max Reger gedacht. Reger starb vor ziemlich genau 100 Jahren (am 11. Mai 1916).

Meine Urtextausgabe der „Drei Suiten für Violoncell allein“, Opus 131c, eröffnete zusammen mit der Edition der drei Violasuiten HN 468 Anfang der 1990er-Jahre den Reigen unserer inzwischen recht zahlreichen Reger-Werke im Henle-Urtext. Regers Handschrift dieser drei grandiosen Werke ist bis heute verschollen. Die Werke erschienen erstmals im Juli 1915 im Verlag N. Simrock, also ziemlich genau ein Jahr vor dem Tod Regers. Dem vor wenigen Jahren bei uns erschienenen Reger-Werkverzeichnis kann man alle wichtigen Informationen zur Entstehung und Quellen von Opus 131c entnehmen. Für unsere Blog-Leser hier exklusiv der Scan der einschlägigen Seiten.

Reger las offenkundig akribisch Korrektur, denn es finden sich nur wenige Textprobleme in der Erstausgabe. Die Stichplatten der Erstausgabe wurden dann übrigens unverändert vom Verlag C. F. Peters für dessen Nachdrucke übernommen (später lediglich Fingersätze – von wem? – eingefügt). Einige wenige Feinkorrekturen waren dennoch offenkundig nötig. Manche Bögen oder unterschiedlich platzierte Dynamik habe ich an Parallelstellen angeglichen (natürlich jeweils mit Fußnoten-Hinweis); abweichende Noten an eindeutigen Parallelstellen (etwa Reprisen) ließ ich unverändert, weise aber in meiner Ausgabe darauf hin.

Nun erreichte uns vor wenigen Wochen eine Mail des Cellisten und Musikpädagogen Christoph Otto Beyer aus Aurich mit hervorragenden Verbesserungsvorschlägen zur zweiten Suite. Ich nehme das Schreiben von Herrn Beyer zum Anlass, meine Ausgabe entsprechend zu verbessern und im Folgenden diese Korrekturen offenzulegen. (Denn die korrigierte Druckausgabe wird frühestens in 2 Jahren als Nachdruck erscheinen.)

Hier also listenartig die Detailkorrekturen zur derzeit im Handel befindlichen Henle-Ausgabe von Regers Cellosuiten op. 131c:

1. In der Gavotte Takt 48 (S. 11) sollte das p entgegen der Erstausgaben-Platzierung (= zum 3. Viertel) wohl besser um eine Viertel nach rechts (also zum 4. Viertel) verschoben werden, wie man aus allen Parallelstellen schließen kann.

2. In der Gavotte Takt 50 (S. 11) druckt die Erstausgabe, im Unterschied zu allen (!) anderen Stellen keine Arpeggio-Schlangenlinie zum Akkord. Ich meine, auch dieser Akkord sollte arpeggiert werden, obwohl natürlich durchaus auch ein „simultan-Pizzicato“ (Beyer) möglich wäre. Ich klammere also die Schlange zukünftig ein, um sie als meinen Herausgeberzusatz kenntlich zu machen.

3. In der Gavotte Takt 68 (S. 11) steht in der Erstausgabe auf dem letzten Viertel kein Staccato-Punkt. Vielleicht fehlt er absichtsvoll? Ich meine, es ist ein Stichfehler, weshalb der Punkt in runde Klammern zu setzen ist.

4. Im Largo Takte 28–29 (S. 12) ist die ritardando-Strichelung einen halben Takt zu weit ausgeführt (sie muss T. 29 bereits beim 2. Viertel, d1, enden).

Und nun noch zwei interessante, mehr generelle Aspekte, die Herr Beyer anspricht:

5. Regers „fast obsessiv verwendeten Flageolett-Angaben“, wie Herr Beyer zurecht bemerkt, sind recht besehen keine Fingersatzangaben, sondern eine „ästhetische und klangfarbliche Maxime“ Regers (Beyer). Wir geben aber diese Reger’schen „0“-Bezeichnungen kursiv (= schräg gestellt) wieder, genauso, wie wir es üblicherweise mit originalen (also vom Komponisten stammenden) Fingersätzen tun; man siehe auch den Fußnotenkommentar auf S. 1 meiner Reger-Ausgabe. Was meinen die Leser: Sollten wir ab der nächsten Auflage diese Zeichen gerade anstatt kursiv wiedergeben, weil es sich beim Flageolett-„0“ nicht um Fingersatz handelt?

6. Die Metronom-Angaben Regers stehen in der Erstausgabe in Klammern:

Solch Klammerung trifft man übrigens in sehr vielen frühen Druckausgaben verschiedenster Komponisten und Verlage an. Wir geben Metronomangaben prinzipiell ohne diese ( ) wieder, denn erstens markieren „( )“ bei uns stets Zeichenergänzungen des Herausgebers über die Quellen hinaus, und zweitens scheint uns keine tiefere Bedeutung hinter der Klammerung.

Nun schreibt Cellist Beyer, er vermisse diese Klammern. Er interpretiert sie als Indikator für eine intendierte leichte Rücknahme verbindlicher Bedeutung – wenn ich es recht verstehe. Was meinen die geneigten Leser? Ist der Klammerzusatz von Bedeutung, und wenn, von welcher? Dann müssten wir sie im Urtext übernehmen.

Mein nochmaliger herzlicher Dank geht an unseren scharfsichtigen Kunden, der hoffentlich nicht noch mehr solcher Fehlerchen entdeckt ☺ . Und wenn doch: Immer her damit – wir können nur mit Hilfe „unserer“ Musiker besser werden, die unsere Ausgaben benutzen und Rückfragen stellen. Ich stehe zu meinem Versprechen: Jede vermeintliche Fehlermeldung von Ihnen wird von unserem wissenschaftlichen Lektorat sehr gewissenhaft an den Quellen und nach musikalischen Kriterien geprüft, persönlich beantwortet und die Korrektur fließt gegebenenfalls in die nächste Auflage. Die Reger’schen Cellosuiten sind einmal mehr Beweis dafür.

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2 Antworten auf »Ein Henle-Kunde schlägt Textkorrekturen zu Max Regers Cellosuite Nr. 2 vor. Wie reagieren wir als Verlag darauf?«

  1. Gerard van der Leeuw sagt:

    Was die () betrifft: ich meine sie sollen da stehen, weil ein Tempo nimmer ‘ist’, wie Klemperer meinte, sondern nur Andeutung sein kann, auch wenn es vom Komponisten selber stammt. Ein Tempo hat auch zu tun mit der Akustik, das Wetter, das Publikum usw. und sollte deshalb nimmer verbindlich sein. ‘Tempo gusto’!

    (Ich bin Holländer, wenn etwas nicht richtig Deutsch ist…..

    Ihr:
    Gerard van der Leeuw
    Amsterdam

  2. Dr. Michael Struck sagt:

    Lieber Herr Seiffert, liebe Leserinnen und Leser,

    eine solche editorische Transparenz und “Kommunikation” zwischen “Nutzenden” und Verlag finde ich sehr erfreulich und vorbildlich. Hier meine Meinung zu den beiden Fragen:

    – Metronomzahlen sind m. E. immer ein Stück weit andeutend. Aber wenn der Komponist sich die Mühe macht, sie anzugeben, kann der Verlag das m. E. gemäß seinen Hausregeln tun. Viele Musiker werden sie eh (leider) ignorieren. Ich habe schon erlebt, dass eine Künstlerin höchst erstaunt war, dass es (hier ging es um Brahms’ B-Dur-Konzert, das sie schon öffentlich gespielt hatte) überhaupt welche gibt… Wenn die Klammerung als “Urtext”-Problem ernstgenommen würde, müsste man ja auch klären, ob die vorhandene oder fehlende Klammerung vom Komponisten stammt oder vom Erstausgaben-Verlag nach Hausregeln gesetzt/ausgelassen wurde. Insofern würde ich den Verlag ermutigen, seine Praxis beizubehalten.

    – Im erweiterten Sinne gehören Flageolett-, Leersaiten- und Daumenaufsatz-Zeichen (die man ja unterscheiden muss) für mich zur Frage der (Nicht-)Fingersetzung. Natürlich haben sie darüber hinaus (wie ja auch die eigentliche Fingersetzung und die Verwendung verschiedener Saiten) auch eine klangliche Seite. So halte ich die kursive Wiedergabe derartiger authentischer Zeichen als “Fingersatz im erweiterten Sinne” durchaus für sinnvoll.

    Mit herzlichen Grüßen und nochmaligem Kompliment für dieses “interaktive” Editionsverständnis
    Ihr Michael Struck

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