Franz Schubert (1797–1828)

Aller guten Dinge sind drei – das gilt jetzt auch für Schuberts Streichquartette bei Henle, denn nach „Der Tod und das Mädchen“ D 810 (HN 9626) und dem vor einigen Jahren erschienenen G-dur-Quartett D 887 (HN 9850) ist nun mit dem Rosamunde-Quartett D 804 (HN 9849) auch das letzte der drei großen Streichquartette in unserem Katalog vertreten, mit denen der Komponist sich 1824 nach eigener Aussage „den Weg zur großen Sinfonie bahnen“ wollte. Wer schon einen Blick in unsere Ausgabe geworfen hat, wird vielleicht überrascht sein, hier die bei Henle ja mit Bedacht nur sehr sparsam gesetzten Fußnoten auf fast jeder Seite zu entdecken. Gibt es denn wirklich so viel zu kommentieren bei diesem Quartett?

Ertausgabe des Rosamunde-Quartetts

Nach Meinung unseres langjährigen Herausgebers Egon Voss schon, denn die einzige Quelle für dieses Werk ist eine gedruckte Ausgabe in Stimmen – und dies bedeutet bei einem Streichquartett naturgemäß ein besonderes editorisches Risiko (zumal nicht gesichert ist, dass Schubert den 1824 erschienenen Druck überprüft hat). Zum einen fallen bei der Herstellung eines Stimmensatzes klassische Stichfehler wie ein versehentlich eine Terz zu hoch notierter Ton, die verschobene Position eines Legatobogens oder eine falsche Dynamikangabe viel weniger auf als in einer Partitur – weswegen Erstausgaben in Stimmen meist sehr fehlerhaft sind. Zum anderen ist es für den Herausgeber bei Vermutung eines Fehlers oft problematisch, die richtige Entscheidungsgrundlage für eine sogenannte „Emendation“ (wie man in der Philologie die vermutungsweise Korrektur eines Fehlers nennt) zu finden.

Finale T. 15 der Erstausgabe

Denn solche vermutungsweisen Korrekturen geschehen in der Regel nach den parallel erklingenden Stimmen oder einer analogen Stelle im Satz – wie gewissenhafte Leser unserer Bemerkungen (am Ende der Ausgabe) natürlich aus dem häufigen Verweis „vgl. Violine I“ oder „vgl. T. 15“ wissen. Genau diese Technik kann aber bei einem in vier Einzelstimmen überlieferten Streichquartett mitunter recht problematisch werden, wenn es zum Beispiel 2:2 steht wie in T. 15 des Finales: Hier haben Violine 2 und Cello in der Erstausgabe wieder pp (wie zu Beginn), Violine 1 und Viola hingegen p. Egon Voss hat sich für das piano entschieden, aber die Fußnote macht den Musiker darauf aufmerksam, dass hier auch eine andere Entscheidung denkbar wäre. (Während sich der in der Erstausgabe in Violine 1 zur 2. Note verrutschte Akzent anhand der anderen Stimmen leicht korrigieren lässt – was ebenfalls in den Bemerkungen erfasst ist, aber als eine unfragliche Entscheidung eben nicht durch eine Fußnote im Notentext markiert werden muss.)

Für alle, denen der Unterschied zwischen piano und pianissimo zu klein ist, noch ein Beispiel vom Ende des Trios (T. 27) mit weitreichenderen Folgen: Viola und Violoncello haben hier fp (wie in T. 23), in Violine 2 steht erneut (und damit überflüssigerweise) p, in Violine 1 jedoch pp. Dass ausgerechnet die höchste Stimme trotz Akzent deutlich leiser als die anderen drei spielen soll, macht schlichtweg keinen Sinn. Aber was ist die Lösung? Viele Ausgaben entscheiden sich hier für eine Übernahme des pianissimo in den anderen Stimmen, so dass die Stelle also deutlich leiser klingt als zuvor – womit allerdings auch das leise Ausklingen des Schlusses ab T. 31 auf merkwürdige Weise vorweggenommen wird.

Trio T. 13–34 in Violine 1 aus der Erstausgabe

Die Entscheidung für pp mag aber auch darauf gegründet sein, dass dieses Zeichen in der Violine etwas seltsam ausschaut: Könnte unter dem ersten der zwei p zunächst ein F gestanden haben (wie im letzten Takt der darüber liegenden Zeile) und es sich folglich um eine Korrektur von fp zu pp handeln, die in den anderen Stimmen vergessen wurde? Andererseits sehen sich das große F und das kleine p in den vom Setzer verwendeten Typen so ähnlich, dass auch ein Versehen vorliegen könnte – und auch hier das fp gemeint war.

Nach Meinung des Herausgebers Egon Voss ist dies musikalisch die überzeugendere Lösung, weswegen wir diese im Haupttext gedruckt haben. Angesichts der weiten Verbreitung der reinen Pianissimo-Lesart haben wir die Alternative aber in der Fußnote sicherheitshalber erwähnt – damit unsere Kunden hier nicht am Ende aus Versehen bei uns ein Versehen vermuten …

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