Regelmäßige Henle-Blog-Leser werden sich erinnern: Mein letzter Beitrag behandelte den sensationellen Budapester Fund des autographen Doppelblatts der berühmten A-dur-Klaviersonate KV 331 Mozarts sowie die Ankündigung meiner inzwischen erschienenen neuen Urtext-Ausgabe dazu. Der folgende Beitrag behandelt nochmals diese Sonate, vornehmlich das „alla turca“-Rondo, gewissermaßen als ein Abfallprodukt meiner intensiven Beschäftigung mit ihrer autographen Überlieferung.

Merkwürdige (?) Wiederholungsanweisungen im „alla turca“-Teilautograph in Salzburg

Außer dem erwähnten, neu aufgefundenen Budapester Doppelblatt hat sich nur eine einzige Seite mit Mozarts Handschrift zu dieser Sonate erhalten – das Blatt befindet sich im Besitz der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg (Signatur „KV 300i“):

© Internationale Stiftung Mozarteum (ISM), Bibliotheca Mozartiana, Signatur: KV 300i

Etwa in der Mitte oben, unterhalb des gut erkennbaren Wortes „Coda.“ finden sich mehrere von Mozart notierte Wiederholungsanweisungen, die wohl an einen Kopisten gerichtet sind, der diesen offensichtlich abgekürzt notierten Rondosatz vollständig ab- und ausschreiben sollte:

1. ein linksseitiges Wiederholungszeichen (mit 1ma– und 2da-volta) – in der Abbildung für Sie blau markiert

2. jeweils daneben ein dal-segno-Verweiszeichen – rot markiert

3. die Anweisung „da capo #“ – grün gekennzeichnet.

Die beiden von mir hochgeschätzten Herausgeber der Mozart-Sonaten im Rahmen der Neuen Mozart-Ausgabe (NMA, Bärenreiter-Verlag) warfen erstmals die Frage auf, was genau mit diesen drei Anweisungen gemeint sein soll, was und ab wo wiederholt wird. Keine banale Frage, denn offenkundig ist die Antwort darauf nicht. Es fehlen nämlich alle „alla turca“-Takte, die dieser letzten Seite vorausgehen, und nur hierin stehen die jeweiligen „Gegenzeichen“, die eine Auflösung der Frage brächten. Von den drei an ein und derselben Stelle notierten Wiederholungsanweisungen scheint mindestens eine wenn nicht gar zwei überflüssig (NMA: „Pleonasmus“). Die NMA-Herausgeber schlagen als Lösungsansatz des vorgeblichen Problems sogar hypothetisch vor, dass es sich bei unserem Blatt um ein nachträglich beschriebenes handeln könnte. Das eigentliche Problem wird allerdings durch diese gewagte These keineswegs geklärt (was die Herausgeber auch freimütig zugeben)[1].

Dabei ist die Sachlage ganz simpel, sofern man sich nicht vom ersten Augenschein täuschen lässt. Alle drei Verweiszeichen haben ihren guten Sinn und Grund. Der Augenschein suggeriert, dass man es in der obersten Zeile des Salzburger Autographs mit einem durchgängigen Notentext zu tun habe, also die Schlusstakte des „alla turca“ = Takte 90-127. Würde es sich so verhalten, so würden Mozarts diverse Wiederholungsanweisungen in Takt 96a stehen. Auf diesen Augenschein sind denn auch die NMA-Herausgeber gewissermaßen hereingefallen. Denn bei den ersten sieben Takten der autographen Salzburger Notenseite handelt es sich meiner Überzeugung nach gar nicht um die Takte 90-96a/b, sondern um die Takte 58-64. Erst mit der Da capo-Anweisung sehen wir dann Takt 96b ff. Dazwischen stehen die diversen Wiederholungsanweisungen, die der Kopist genau beachten muss: In Mozarts Komposition, wie wir sie kennen, schließt sich ja bekanntlich an Takt 64 (= letzter Takt des A-dur-Teils) die Wiederholung des Satzanfangs, des a-moll-Teiles an, also die Takte 1-24. Und genau das zeigt Mozart mit seiner Anweisung „da capo #“ an. Dieses „#“ wird Mozart vermutlich sicherheitshalber zu Beginn des „alla turca“-Satzes notiert haben. Natürlich schließt sich daran nahtlos der A-dur-Teil (die Takte 25-32) an. Das „da capo #“ in Takt 64 verlangt also ganz einfach die Wiederholung der beiden Hauptabschnitte des Stückes in a-moll und A-dur im Anschluss an Takt 64 (= T. 1-32 T. 65-96a). In Takt 32 musste Mozart dann nur das dal-segno-Sprungzeichen notieren (das ist die zwangsläufige und plausible Hypothese), denn jetzt folgt nicht, wie beim ersten Mal der fis-moll-Teil, sondern es geht gleich hinüber in die Coda (= T. 96b ff.). Nichts anderes drücken die beiden oben rot markierten, entsprechend korrespondierenden aus. Und somit findet schließlich auch das simple, linksseitige Wiederholungszeichen in Takt 64 seine einfache Erklärung: es stellt keineswegs einen „Pleonasmus“ dar, sondern verlangt schlicht die Wiederholung der Takte 56-64, bevor der Sprung zur „da capo“-Wiederholung der Takte 1 ff. erfolgen soll. Zusammenfassend grafisch dargestellt:

Von Mozart notierte, aber erst ab T 58 überlieferte Abschnitte:

# A (a-moll)        B (A-dur)         C (fis-moll)       B (A-dur)

T. 1-24                25-32                33-56                57-64, gefolgt von: „da capo #

Von Mozart nicht ausnotierte, durch Wiederholungsanweisungen verlangte Abschnitte:

# A (a-moll)    B (A-dur) 

65-88               89-96a

Von Mozart ausnotierter Schlussabschnitt:

 Coda (A-dur)

96b – 127.

Und es geht noch weiter: Erst im Anschluss an den Schluss notiert/skizziert Mozart gut erkennbar die heikel zu spielenden gebrochenen Oktaven für den dritten und letzten Auftritt des B-Teils in A-dur (T. 89 ff.) – oben gelb markiert. Diese Oktavenvariante konnte ja, wie wir jetzt wissen, Mozart im Haupttext nicht notieren, denn just diese dritte Wiederholung des B-Teils ist Bestandteil der nicht ausnotierten Ausführung der „da capo #“-Anweisung. Es liegt also mehr als nahe, in Mozarts kleiner Oktavierungsskizze (übrigens überraschend im Violinschlüssel notiert, während die rechte Hand hier sonst im Sopranschlüssel geschrieben steht) ebenfalls eine Kopistenanweisung zu erkennen: Alle frühen Abschriften und Drucke, alle Ausgaben bis zum heutigen Tag, geben Mozarts Willen hier korrekt wieder. Die gebrochenen Oktavierungen scheinen allerdings eine nachträgliche Idee Mozarts gewesen zu sein, worauf bereits Ulrich Leisinger hinwies[2]: das kurze Notat ist nämlich mit anderer Tintenfarbe und in anderem Duktus notiert (der Violinschlüssel dazu scheint sogar nachträglich ergänzt?). Jedenfalls ein faszinierender Einblick in Mozarts Werkstatt.

Rekonstruktion des originalen Gesamtautographs

Zum Abschluss nun noch eine Zugabe für den engeren Kreis der (Mozart-) Editionskollegen.

Spätestens seit dem Budapester Fund des Doppelblatts im Herbst 2014 zusammen mit der obigen Richtigstellung des Salzburger Textbefunds lässt sich der ursprüngliche Umfang inklusive Lagenordnung des Autographs vor dessen Zerstreuung rekonstruieren. Das muss an dieser Stelle auch deshalb getan sein, weil die einschlägige Beschreibung bzw. hypothetische Beschreibung der verehrten NMA auch hierin falsch ist. Vom ursprünglich vollständigen Originalmanuskript von KV 331 (= A) existieren heute (Stand Herbst 2015) nur die beiden folgenden Teile:

A1 = das Budapester Doppelblatt, enthaltend den ersten Satz ab Takt 55 (ab Variation III), das vollständige Menuett und den ersten Teil des Trios bis einschließlich dessen Takt 10.

A2 = das Salzburger Einzelblatt, enthaltend Takte 58-64, sowie unmittelbar anschließend Takte 96b-127; siehe hier oben abgebildet und besprochen.

Verschollen sind bis heute demnach: Der Anfang des 1. Satzes (T. 1-54); der Schluss des Trios (2. Satz, ab Trio T. 11); wesentliche Teile des 3. Satzes (T. 1-57).

Einige sekundäre Merkmale der erhaltenen autographen Teile erlauben eine eindeutige Rekonstruktion des Gesamtautographs (abweichend von NMA), begründet wie folgt:

(a)     Paginierung:

A1 ist durchgehend sehr klein, wohl nicht autograph, von „3“ bis „6“ paginiert, nämlich jeweils in der oberen rechten, bzw. bei geraden Seiten linken oberen Ecke. Demnach gehen der Seite „3“ (= Anfang von A1) zwei Seiten („1“ und „2“) voraus. Auf diesen beiden ersten (fehlenden) Seiten müssen sich folgerichtig die Takte 1-54 des ersten Satzes befinden.

(b)     Taktanzahl

Diese Schlussfolgerung lässt sich auch überzeugend durch den tatsächlichen und vermutlichen Umfang (Anzahl der Takte) begründen: A1/2 sind zehnzeilig rastriert, pro Seite stehen also fünf Akkoladen zur Verfügung. Die in A1 erhaltenen Takte des ersten Satzes zeigen eine durchschnittliche Anzahl von 6-7 Takten pro Akkolade. Also passen auf eine Notenseite, selbst wenn Mozart eng notiert haben sollte, maximal etwa 35 Takte (5 x 7). Die fehlenden ersten 54 Takte müssen demnach auf zwei (aber nicht mehr) Seiten notiert worden sein. Nämlich auf den Seiten 1 und 2 (= ein Blatt), das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einem anderen Blatt ein Doppelblatt (bifolium) bildet. Auf diesem zweiten Blatt muss die Fortsetzung der fehlenden Trio-Takte (11 f.) und der Beginn des „alla turca“ stehen. Diese naheliegende Hypothese kann man wie folgt begründen:

Die dank A1 erhaltenen Anfangstakte des Trios zeigen etwa 10 Takte pro Akkolade, sodass die fehlenden 42 Takte des Trios auf vier bis maximal fünf Akkoladen passen. Das entspricht in etwa einer Seite. Akzeptiert man meine Interpretation zu Beginn dieses Blogbeitrags, gehen also dem Beginn von A2 (= T. 58) 57 autograph notierte Takte voraus. Für den 3. Satz lässt sich dank der wenigen erhaltenen Takte in A2 (die Rückseite ist vacat) ein Platzbedarf von etwa 11 Takten pro Akkolade ermitteln, weshalb für die fehlenden vorausgehenden 57 Takte etwas mehr als eine Seite benötigt wird (5 Akkoladen à 11 Takte = 55 Takte/ Seite); für den Anfang des „alla turca“ genügte Mozart daher entweder bei etwas enger Notierung die Rückseite des fehlenden Doppelblattes oder er nutzte noch die letzte Zeile der vorausgehenden Seite mit dem Schluss des Trios. In jedem Falle beanspruchen die fehlenden Teile des 2. und 3. Satzes nicht mehr als ein Notenblatt bzw. 2 Seiten.

Der aus Paginierung und Platzermittlung ermittelte Umfang der bis heute fehlenden autographen Teile stellt sich demnach zusammenfassend bündig wie folgt dar:

1. Satz, T. 1-54:                      entspricht Umfang von einem Notenblatt bzw. 2 Notenseiten
2. Satz, Trio, ab T. 11:           entspricht etwa einer Notenseite
3. Satz, T. 1-57:                      entspricht etwa einer Notenseite

Zur Rekonstruktion der Lagenordnung des Gesamtautographs KV 331 liegt es nahe, die bei Mozart-Autographen häufig anzutreffenden zwei ineinandergelegten Doppelblätter (2 Bifolia) anzunehmen: Die beiden fehlenden Notenblätter dürften also ein zusammenhängendes Doppelblatt (bifolium) bilden (oder gebildet haben), in das hinein das Doppelblatt A1 gelegt war:

Budapester Bifolium A1

Fehlendes Bifolium Salzburger Einzelblatt A2

Diese rekonstruierte Lagenordnung zweier ineinandergelegter Bifolia, ergänzt durch ein abschließendes Einzelblatt, entspricht im Übrigen exakt der Lagenordnung der beiden „Schwester-Klaviersonaten“ KV 330 und 332[3].

(c)      Foliierungen

In A1 wurden die beiden „rechten Seiten“ (= Blatt 2r und 3r) zusätzlich zur Paginierung in Tinte in sehr kleiner, wohl kaum autographer Schrift jeweils rechts oben, außen, mit „10“ und „11“ foliiert. Das Salzburger Blatt A2 ist re/oben wiederum auffällig groß mit „13“ bezeichnet (und darüber hinaus winzig klein nochmals „13“ am oberen Außenrand). Die Herausgeber der NMA mutmaßen[4], dass es sich bei der „13“ um eine Paginierung handeln muss, weil ein Platzbedarf von „kaum mehr als drei Doppelblätter (= S. 1-12) und die Vorderseite (= S. 13) eines Einzelblattes“ angenommen werden müsste. Wie oben bereits nachgewiesen werden konnte, ist dies eine falsche, immerhin um ein Bifolium zu großzügig dimensionierte Annahme. Bei der „13“ auf A2 dürfte es sich vielmehr um die – von anderer Hand geschriebene – Fortsetzung der Foliierung von A1 handeln, denn nach Blatt „11“ fehlt, siehe oben (Lagenordnung), Blatt „12“, es folgt A2 = Blatt „13“. Das erste, fehlende Blatt von KV 331 dürfte demnach mit „9“ foliiert sein. Interessant wäre es übrigens zu erfahren, welches Werk (oder Werke) die vorausgehenden Blätter „1-8“ kennzeichnen; ein Zusammenhang mit den Autographen von KV 330 und 332 scheint nicht zu bestehen, denn hier findet sich keinerlei entsprechende Foliierung[5].


[1] „Der Sinn des Vermerks Da capo mit Verweiszeichen … ist ohne Kenntnis der vorhergehenden Seite des Autographs nicht eindeutig zu klären; er könnte sich auf die Wiederholung der Dur-Episode Takt 25-32I beziehen, doch hat Mozart nicht nur den Vermerk, sondern zusätzlich auch Repetitionszeichen gesetzt, was einem Pleonasmus gleichkommt. Folgende Hypothese mag hier weiterführen: Vielleicht sollte der Satz zunächst durch ein (nicht ausnotiertes) ‚Da capo‘ der Takte 25 ff. = Takt 89-96 abgeschlossen werden. Eine nachträglich konzipierte Erweiterung des Satzschlusses war dann auf dem zur Verfügung stehenden ‘Raum am Ende des Sonatenautographs nicht mehr unterzubringen, weswegen Mozart ein separates Blatt zur Hilfe nehmen mußte. Es spricht einiges dafür, daß das überlieferte autographe Fragment nicht als zufällig abgetrennter Teil des Gesamtautographs, sondern tatsächlich als zusätzlich notierte Ergänzung zu verstehen ist. Der allerdings merkwürdige Pleonasmus von Da-capo-Vermerk und Repetitionszeichen bliebe damit zwar weiter bestehen, ließe sich aber durch unsere Hypothese besser begreifen.“ Neue Mozart-Ausgabe, Serie IX, Klaviermusik, Werkgruppe 25: Klaviersonaten , Bd. 2. Hrsg. von W. Plath u. W. Rehm. Kassel 1986, S. XI (Vorwort). Man lese auch den Kritischen Bericht zur Neue Mozart-Ausgabe, Serie IX, Werkgruppe 25. Kassel 1986, S. 87, 95, 198.

[2] Wiener Urtext Edition Leisinger. In NMA wegen der falschen Identifizierung der Anfangstakte des Salzburger Autographs mit Takt 90 ff. schief erläutert.

[3] NMA/KB, Kassel 1986, S. 77 bzw. 96.

[4] NMA/KB, Kassel 1986, S. 87, und Fußnote 36.

[5] Schließlich findet sich noch in A1, 4. Seite, am linken Außenrand in Höhe der untersten Akkolade, die mit dem Trio beginnt, wiederum von anderer Hand: „7.“. Die Bedeutung dieser Ziffer ist unklar, wollte man nicht in der Übereinstimmung mit der Erstausgabe, deren 7. Seite von KV 331 (= S. 20) just mit dem Trio beginnt, mehr als einen reinen Zufall erblicken wollen.

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10 Antworten auf »Weitere neue Erkenntnisse zum Autograph der Klaviersonate A-dur KV 331«

  1. Andreas Pistorius sagt:

    Woher glaubt man zu wissen, daß dieses Autograph der “letzte Wille” Mozarts betr. dieser Sonate war? Wann kam die Erstausgabe heraus, falls zu Mozarts Lebzeiten, dann wäre das Autograph schon mal “abgewertet”. Wie oft nehmen Komponisten auch gerade nach dem Erstdruck oder Probedruck (Liszt z.B.) Änderungen vor (kann man das bei Mozart ausschließen?), das Autograph, selbst wenn es angeblich als Druckvorlage diente, ist dann wenig aussagekräftig!

    • Wolf-Dieter Seiffert sagt:

      Sehr geehrter Herr Pistorius,
      ich stimme Ihrer Bemerkung völlig zu! Der „letzte Wille“ Mozarts ist nicht allein im Autograph festgelegt, ganz im Gegenteil hat er, wie viele andere Komponisten, im Verlauf des Veröffentlichungsprozesses Veränderungen an der Werkgestalt vorgenommen. Im Falle der A-dur-Sonate KV 331, die in Wien im August 1784 im Erstdruck erschien, ist es ganz offenkundig, dass einige Abweichungen der Erstausgabe zum Autograph autorisiert sind, weshalb ich diese Quelle als weitere Primärquelle verwende. Der entsprechende Kritische Bericht ist übrigens kostenlos über unsere Webseite einseh- und ausdruckbar, falls Sie tiefer einsteigen wollen. Nochmal tausend Dank für Ihr Interesse.

  2. Welzel sagt:

    Genau das ist eben das Problem, wo liegen die Prioritäten,
    hoffentlich nicht im persönlichen Ehrgeiz oder Absatzzahlen! ?
    Bei KV457 und 332 der Mittelsätze hat man gesehen,
    das ein Autograph auch nur ein Zwischenstadium sein kann.
    Was ich an der Neuausgabe schade finde:
    Die fragliche A-Moll Sequenz im Menuett wird widerlegt,
    was aus oben genannten Gründen kaum haltbar ist,
    zumal in Takt 23 sich ein Wechsel der Stimmung ankündigt.
    Das Dur ist hier nicht überzeugend.
    Der zu volle Akkord im Takt 122, den Mozart noch nicht mal
    geschrieben hat, stört auch. Glücklicherweise kann man sich ja als
    Interpret über sowas hinwegsetzen.

    • Ein Autograph ist nach Meinung aller Experten viel mehr als nur ein „Zwischenstadium“ innerhalb der Textüberlieferung. Es ist, und in ganz besonderem Maße im Falle Mozarts, stets eine sehr ernst zu nehmende Hauptquelle. Viele Musiker meinen, dass so ein Autograph das letzte Wort des Komponisten sei. Das ist natürlich ein Irrtum – da haben Sie völlig recht. Natürlich muss man auch beispielsweise den Text der Erstausgabe (oder einer frühen Abschrift) sehr ernst nehmen, sofern zu Mozarts Zeit erschienen. Vor allem, wenn diese Texte in (vielen) Details vom ursprünglichen, autographen Text abweichen. Genau das ist bei KV 331 der Fall. Wenn Sie meinem Kritischen Apparat Beachtung schenken würden, würde Ihnen auffallen, dass ich beide Quellen als editorisch gleichwertig betrachte und jede Textabweichung bewerte. Stets muss akribisch geprüft und begründet werden, wo von einer Textverbesserung, wo von einem unentdeckten Stichfehler ausgegangen werden muss. Editorisches Handwerk.
      Ihre beiden Fallbeispiele gehen argumentativ ins Leere: Der A-dur-Mittelteil im Menuett steht textidentisch in Autograph und Erstausgabe. Der von Ihnen genannte Akkord im 3. Satz (T. 122) steht so in der Erstausgabe; ich gehe davon aus, dass ihn Mozart für den Druck entsprechend über das Autograph hinaus (dort nur Sexte) korrigierte – also ganz im Sinne Ihrer Ermahnung, den Wert der Erstausgabe nicht zu unterschätzen.

  3. Weller sagt:

    Es wird stolz die A-Dur Version vom Mittelteil im Menuett bei youtube vorgetragen,
    kein Kommentar dazu. Natürlich klingt das Moll wie in früheren Ausgaben
    schlüssiger, keiner sagt etwas dazu. Das beweist eigentlich nur,
    dass auch diese Neuausgabe ein weiterer Zwischenschritt ist.
    Die Auswertung aller Quellen und die daraus entstehenden Rückschlüsse bleiben
    eine Herausforderung weiterhin. Das muss man akzeptieren.

    • Das a-moll im Menuett-Mittelteil mag Ihnen „schlüssiger“ klingen – mir selbst ging es zunächst auch so – , aber die Quellenlage ist nun einmal eindeutig. Mozart will A-dur, nicht a-moll. Wir sollten das respektieren, meinen Sie nicht?

  4. Weller sagt:

    Selbstverständlich !
    Es ist eben das Problem, gerade dieses Werk schon
    1000 mal gehört zu haben, das Ohr hat sich an etwas
    gewöhnt und akzeptiert quasi nichts anderes.
    Das nachträglich eingeschobene Kreuz in Takt 26 lässt
    nachvollziehen, Mozart hat das anfängliche Moll verworfen,
    um es dann in den Takten 27-29 noch konzentrierter erscheinen zu lassen.
    Die Andre-Editoren damals hatten mit Sicherheit nicht diesen
    subtilen Gedankengang und uns eben die altbekannte Version beschert.
    Natürlich bedeutet die Musik Mozarts in jedem Takt
    ein Höchstmaß an Wohlklang, mehr als bei jedem anderen Komponisten.
    Man hört jede falsche Note sofort heraus. Dennoch sollte man sich seiner
    hoch-emotionalen Persönlichkeit immer bewußt bleiben,
    die Zauberflöte mag dafür ein für jedermann bekanntes Beispiel sein.
    Darum ist auch hier im Menuett neben dem harmonischen Aspekt
    immer die theatralische Komponente mit einzukalkulieren,
    ein plötzlich ausbrechendes Moll ab Takt 27
    nach einiger Überlegung eben doch die bessere Variante.

  5. Kirmeier Konrad sagt:

    Sehr interessante und hochwissenschaftliche Erklärungen, die ich leider erst nach fünf Jahren entdeckt habe.

    Nachdem ich diese Sonate immer besonders hoch geschätzt habe, da sie sich von allen anderen Mozartsonaten abhebt, ist mir Ihr Beitrag sehr hilfreich.

    Ich achte heute mehr auf die Wirkung dieser Musik als auf das drumherum.
    Da es kein vollständiges Autograph gibt, ist diese Sonate heute für mich zwar immer noch reizvoll, da so “berühmt”, aber ich lasse lieber die Finger davon, und halte mich lieber an die Werke in Ihrem Verlag, wo es vollständige Autographe als Grundlage gibt. Obwohl Zweifel auch da immer angebracht sind.
    Die Wirkung der Musik ist für mich das entscheidende. Da kann ich nur eine ganz unscheinbare Bearbeitung von Mozart erwähnen die, zumindest auf mich, sehr wohltuend wirkt.
    Nämlich das einseitige Klavierstück in Es-Dur, das Mozart wohl 1787 aus der Oper von Gluck mit “nachhause” genommen, und auf seine geniale Art, “bearbeitet” hat.

    Ich sage da nur weniger Mozart ist mehr….

  6. Kirmeier Konrad sagt:

    Lieber Herr Seiffert,

    meine Erfahrungen mit dieser Klaviersonate, die mich immer wieder fasziniert und reizt, haben sich erweitert.
    Habe mir die Neuausgabe von Henle zur Hand genommen und bin “neu” an dieses Werk rangegangen.
    Es ist gewaltig was Mozart da komponiert hat. Das Adagio bringt mich richtig in Trance während dem Spielen. Und dann kommen da die Handüberkreuzungen in Variation 4 und dem Menuett vor.
    Wer das spielen kann, der nimmt das Alla Turca dann mit “links”.
    Ein Meisterwerk. Ich bin zutiefst dankbar für den “Neuzugang” mit Ihrer 2015 erschienenen Neuausgabe!
    Ich finde es auch sehr vorbildlich, dass der Henle-Verlag den dritten Satz nicht aus der Sonate nimmt und getrennt vermarktet.
    Viele Grüße
    Konrad Kirmeier
    der ihnen zum “schönsten Beruf der Welt” gratuliert, und hofft zumindest seine “Berufung” als Musiker endlich einmal zu finden…

  7. Kirmeier Konrad sagt:

    Schade das es zu diesem Blog keine weiteren Beiträge gibt!
    Anscheinend gibt es nichts mehr hinzuzufügen…?

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