Der Titel für meinen heutigen Blogbeitrag schrieb sich so leicht, als ich ihn aus unserer großen Beethoven-Blog-Plan-Liste übertrug, aber während meine Finger noch mit Tippen beschäftigt waren, schaltete sich (vielleicht etwas zu spät) mein Hirn ein und erhob Einspruch: Leichte Klaviersonaten Beethovens? Gibtʼs nicht! Das könnte also jetzt ein ganz kurzer Blogbeitrag werden, aber Sie ahnen es schon: So leicht machen wir es uns nicht…

Es MUSS schlichtweg leichte Klaviersonaten Beethovens geben, denn schließlich erschien vor nicht allzu langer Zeit eine Henle-Ausgabe, die den Titel trägt: „Beethoven – fünf leichte Klaviersonaten“. Also doch! Der Band enthält die beiden Sonaten op. 49, die sogar das Wort „leicht“ im Titel haben; zudem bietet der Band die beiden Sonaten op. 14 sowie die Sonate f-moll op. 2 Nr. 1. Mein Kollege Norbert Gertsch schreibt treffend im Vorwort: „Keine der 32 Klaviersonaten Beethovens kann guten Gewissens als ‚leicht‘ bezeichnet werden – die hier versammelten Werke sind jedoch im Kosmos des ‚Neuen Testaments der Klaviermusik‘ (so Hans von Bülow) die leichtesten.“ Ein perfekter Einstieg in Beethovens Sonatenwelt also, der noch dadurch erleichtert wird, dass die Sonaten im Band in aufsteigendem Schwierigkeitsgrad angeordnet sind, sodass sich der „Berg“ Beethoven allmählich erklimmen lässt, ausgehend von Opus 49, über Opus 14, hin zu Opus 2 Nr. 1 als erstem Gipfel.

(Als Fußnote sei erwähnt, dass es noch drei weitere „leichte“ Sonaten von Beethoven gibt, die sogenannten „Kurfürsten“-Sonaten. Es handelt sich um Frühwerke, die traditionell nicht zum Kanon der 32 Sonaten gezählt und daher im Henle Katalog unter die „Klavierstücke“ eingeordnet werden, siehe HN 12. Das tut aber dem Reiz dieser Stücke natürlich keinen Abbruch!).

Fast jeder Klavierschüler kennt die beiden Sonaten op. 49, sie eignen sich denn auch wirklich hervorragend für den Unterricht, wie nicht zuletzt das wunderbare Tutorial von Anne Schätz unter Beweis stellt. Ich lasse diese beiden bekannten Einstiegdrogen jedoch einmal beiseite und wende mich der Sonate E-dur op. 14 Nr. 1 zu. Der Grund dafür ist ein ganz persönlicher: Im Klavierunterricht war dieses Werk die erste vollständige Beethoven-Sonate, die ich üben durfte. Dass sie nicht so leicht ist, wie sie auf den ersten Blick scheint, musste ich schon in den ersten Takten erfahren. Der Beginn wirkt harmlos, eine kantable Melodie in der rechten Hand, begleitet von gemütlichen Akkorden der linken Hand. Nach diesem Beginn, den ein fortgeschrittener Schüler leicht vom Blatt spielen kann, kam bei mir das große Stolpern: die gebrochenen Terzen, die im Idealfall leicht durch die verschiedenen Register der Klaviatur perlen, gerieten bei mir fast immer daneben. Entweder sie erlitten eine Totalblockade oder sie „eierten“ wenig elegant über die Tastatur. Frustration garantiert!

Beethoven, op. 14,1

Ich habe mich schon damals gefragt, was macht diese Sonate so besonders? Warum ist hier vieles, was leicht aussieht, doch schwierig zu spielen? Ich hatte keine Antwort darauf, heute, mit frischem Blick, denke ich, es liegt vor allem am ungewöhnlichen Klaviersatz, der in gewissem Sinne unausgewogen erscheint. Immer wieder wechseln sich leichte Passagen mit sperrigen Stellen ab. Der Klaviersatz der Sonaten op. 49 wirkt demgegenüber homogener (anders herum formuliert: weniger überraschend, und daher vermutlich leichter). Eine typische Textur für einen langsamen Satz sehe ich etwa in T. 16 ff. der Sonate op. 49 Nr. 1, 1. Satz: Gesangliche Melodie über Alberti-Bässen.

Beethoven, op. 49,1; 1. Satz T. 15 ff.

Der Mittelsatz aus op. 14 Nr. 1 hingegen sieht ganz anders aus:

Beethoven, op. 14,1; 2. Satz

Akkordische Struktur, Unisono in den Oberstimmen der beiden Hände, nahezu streng vierstimmiger Satz. Beethoven experimentiert und spielt, so ist mein Eindruck, in dieser „leichten“ Sonate mit verschiedenen Satztypen, auch mit solchen, die man in einer Klaviersonate aus dieser Zeit eigentlich nicht erwartet.

Erst kürzlich entdeckte ich, dass auch in der Forschung über diesen Punkt immer wieder spekuliert worden ist, unter anderem mit einem Erklärungsansatz, der mir die Augen öffnete. Ein Autograph zur Sonate op. 14 Nr. 1 ist zwar nicht erhalten, wohl aber Skizzenmaterial, siehe z.B. das Skizzenbuch in der British Library, insbesondere f. 121r-122v. Aus diesen Skizzen meinen einige Beethoven-Forscher herausgelesen zu haben, dass Beethoven ursprünglich ein Werk für Streichquartett konzipierte und sich erst allmählich zu einer Klaviersonate umentschied. Könnte das des Rätsels Lösung sein? Ist das ein Grund für den in Teilen ungewöhnlichen Klaviersatz? Wirkt dieser nicht stellenweise wie der Klavierauszug eines Streichquartetts?

Die jüngere Beethoven-Forschung widerspricht und, so das Beethoven-Werkverzeichnis, „widerlegt diesen Ansatz“. Merkwürdigerweise war es aber ausgerechnet diese Sonate, bei der sich Beethoven entschloss, drei Jahre nach ihrem Erscheinen (1799) selbst ein Arrangement anzufertigen, das 1802 im Druck erschien. Für welche Instrumente? Ausgerechnet Streichquartett!

Beethoven stand solchen Übertragungen generell äußerst skeptisch gegenüber. Wenn schon, so seine Meinung, sollte es der Komponist des Originalwerkes selbst sein, der eine Klaviersonate für Streichinstrumente arrangiert, auf keinen Fall aber ein fremder Arrangeur. An Breitkopf & Härtel schreibt er:

„die unnatürliche Wuth, die man hat, sogar Klaviersachen auf Geigeninstrumente überpflanzen zu wollen, Instrumente die so einander allem entgegengesetzt sind, möchte wohl aufhören können, ich behaupte fest, nur Mozart könne sich selbst vom Klavier auf andere Instrumente übersetzen, sowie Haydn auch – und ohne mich an beide große Männer anschließen zu wollen, behaupte ich es von meinen Klaviersonaten auch, da nicht allein ganze Stellen gänzlich wegbleiben und umgeändert werden müssen, so muß man – noch hinzuthun, und hier steht der mißliche Stein des Anstoßes, den um zu überwinden man entweder selbst der Meister sein muß, oder wenigstens dieselbe Gewandtheit und Erfindung haben muß – ich habe eine einzige Sonate von mir in ein Quartett für G.[eigen]I.[nstrumente] verwandelt, warum man mich so sehr bat, und ich weiß gewiß, das macht mir nicht so leicht ein andrer nach.“

Ein gesundes Selbstbewusstsein! Die Streichquartettbearbeitung der Sonate op. 14 Nr. 1 also als Einzelfall, der zeigt, wie geschickt Beethoven das gleiche musikalische Material für gänzlich verschiedene Instrumente einzurichten vermag. Verschaffen Sie sich doch selbst einmal einen Eindruck und vergleichen beide Fassungen für Klavier bzw. Streichquartett.

Auch wenn die Forschung davon ausgeht, dass die „leichte“ E-dur-Sonate von Beginn an als Klaviersonate erdacht worden ist und auch wenn Beethoven seine geniale Übertragung für Streichquartett in höchsten Tönen lobt – ist es nicht merkwürdig, dass ausgerechnet diese Sonate, die einen streckenweise ungewöhnlichen Klaviersatz aufweist, zum Muster für die Übertragungskunst wurde? Hätte Beethoven mit jeder x-beliebigen seiner Sonaten ähnlich verfahren können? Bietet sich ein Arrangement nicht gerade in diesem Fall besonders an? Oder schwankte Beethoven vielleicht doch von Kompositionsbeginn an zwischen beiden Besetzungsmöglichkeiten, fuhr also sozusagen zweigleisig?

Die neue Urtextausgabe von Perahia/Gertsch der originalen Klavierfassung berücksichtigt jedenfalls auch die Streichquartettfassung. Hier noch ein Zitat aus dem Vorwort: „Die Übertragung bietet durch die wesentlich detailliertere Bezeichnung der Stimmen mit Dynamik und Artikulation die Chance, Rückschlüsse auf die in der Klaviersonaten-Gattung übliche sparsame, oft eben leider auch lückenhafte Bezeichnung zu ziehen. Häufig geht die Übertragung ganz eigene musikalische Wege, die eine Berücksichtigung in der vorliegenden Edition verbietet – manchmal jedoch gibt die Lesart in der Übertragung gute Hinweise auf die Interpretation der Klaviersonate, die wir dem Musiker nicht vorenthalten wollen.“

Ich hoffe, Sie sind neugierig geworden, sich bei dieser „leichten“, ungewöhnliche Sonate op. 14 Nr. 1 einmal selbst auf Entdeckungsreise zu begeben!

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11 Antworten auf »Leichte Klaviersonaten Beethovens. LEICHTE KLAVIERSONATEN BEETHOVENS???«

  1. Gerard van der Leeuw sagt:

    Was ist mit der Sonate Nr. 25 G-Dur op. 79? Sonate oder Sonatine (Beethoven), leicht oder schwer?

    • Sehr geehrter Herr van der Leeuw,

      gute Frage! Ich würde sagen, auf den ersten Blick “leicht”, der Titel “Sonatine” deutet ja schon darauf hin. Wenn man aber die Tempobezeichnungen ernst nimmt (Presto, Vivace), dann wird das Stück doch ziemlich vertrackt. In unserem Katalog wird das Werk mit Grad 7 von 9 ausgewiesen und ist damit “schwer”.

      Mit freundlichen Grüßen,
      Norbert Müllemann

  2. Kirmeier Konrad sagt:

    Lieber Herr Müllemann,

    Bin heute nur zufällig auf ihren Blogeintrag gestoßen.
    Ja, die Frage was leicht ist ist sehr schwer zu beantworten.
    Neben dem Spielen dieser Literatur von Beethoven kommt aufgrund der Länge der Sonaten ja auch noch das umblättern bzw . Auch noch zurückblättern bei Wiederholungen dazu. Das hat mich auch oft an den Rand des Wahnsinns gebracht.🤯
    Opus 79 war da für mich die einzige Alternative aber da kommen im ersten Satz wieder häufig die Handübergriffe vor, was wieder schwer ist…
    Warum spricht man den Sonaten eigentlich das neue Testament der Klaviermusik zu?
    Finden sie diese Aussage von Herrn Bühlow heute noch angebracht?
    Und welche Sonate ist dann die frohe Botschaft, in einer relativ leicht Spielbaren Art.

    Freue mich über eine Antwort.

    • Lieber Herr Kiermeier,

      besten Dank für Ihre Frage. Über das Bild mit dem Neuen Testament lässt sich trefflich streiten. Ich gebe aber zu, dass ich durchaus ein Anhänger dieser Sichtweise bin, im Zusammenhang mit dem Alten Testament (WTK). Beide Zyklen sind derart grundlegend für alles Klavierspiel, und zwar was geistigen Inhalt und Pianistik angeht, dass wir auch heute immer wieder darauf zurückkommen. Man muss ja nicht theologische Implikationen mitdenken. Man kann die Testamente einfach als zentrale Bezugspunkte sehen, die in gewisser Weise Auswirkungen auf alles hatten, was danach kam (diese Sichtweise ist natürlich sehr fokussiert auf die westliche, abendländische Kultur, das ist sicher eine gewisse Gefahr!). Die “Frohe Botschaft” mag ich Ihnen nicht vorgeben, denn bei der “Deutung der Schrift” ist letztlich jeder auf sich selbst zurückgeworfen!

      Mit herzlichen Grüßen,
      Ihr Norbert Müllemann

  3. Dr. Michael Krüger sagt:

    Sehr geehrter Herr Müllemann,
    gerne werden (Anfänger-)Schüler mit den beiden Sonaten KH Anh 5 -als “Leichte Sonaten” betitelt- vertraut gemacht. Die hat sogar Ronald Brautigam in seine Gesamteinspielung aufgenommen.
    Was sagen Sie denn zu denen?
    Wie kam es überhaupt zu dieser Zuschreibung und wie stichhaltig ist sie von der Quellenlage / dem Manuskript her?
    Und: wie bewerten Sie die Sonaten stilistisch? Hätte Beethoven so komponiert?
    [Bei den Duos WoO 37 kann man nachweisen, dass sich darin Passagen befinden die Beethoven nicht gesetzt hätte.]
    Vielleicht sind sie ja -auch- von seinem Bruder Karl van Beethoven, von dem immerhin 3 Werke bekannt sind? (Siehe den Aufsatz hier bei Henle.de zu den unechten Werken.)
    Herzliche Grüße
    Michael Krüger

    • Sehr geehrter Herr Krüger,

      Sie haben Recht, die beiden Stücke sind natürlich unbedingt dem “leichten” Beethoven zuzurechnen. Nur, wir wissen leider zu wenig, um mit Sicherheit sagen zu können, sie seien von Beethoven. In der Erstausgabe werden sie mit “Sonatinen” bezeichnet. Sie erschienen bereits ca. 1807, also noch zu Beethovens Lebzeiten. Wir haben kein Zeugnis darüber, dass Beethoven sich je zu diesen Werken geäußert hätte. Auch ein Autograph ist nicht überliefert. Die ganze Sache ist ein wenig rätselhaft, und nach derzeitigem Kenntnisstand lässt sich das nicht auflösen. Die meisten Forscher gehen eher davon aus, dass es sich nicht um Beethoven handelt, aber andere setzen sich für seine Autorschaft ein. Entscheiden lässt sich das leider erst dann, wenn wir ein Autograph finden oder andere eindeutige Dokumente. Aber schön sind die beiden Stücklein, und für Anfänger sehr dankbar!
      Herzliche Grüße,
      Norbert Müllemann

      • Dr. Michael Krüger sagt:

        Sehr geehrter Herr Müllemann,
        herzlichen Dank für Ihre Antwort.
        Aber darf ich noch etwas weiter “bohren”?
        Interessant wäre zu erfahren, welche Argumente die “von Beethoven”-Wissenschaftler ins Feld führen.
        Die “Schönheit” der Stückchen gibt noch keine Zuordnung her. Da gibt/gab es sehr viele Zeitgenossen, die auch unterhaltsam zu komponieren wussten. Und der Verdacht liegt doch sehr nahe, dass sich ein Komponist mit “fremden Federn” schmücken bzw. ein Verleger mit dem Namen etwas verdienen wollte.
        Da die Stücke in Hamburg bei einem Verleger erschienen, zu dem kein Beethoven-Kontakt nachweisbar ist und da es auch in Skizzen und Briefen keinen Hinweis für eine Autorschaft gibt, müssten wohl andere Argumente für eine Zuordnung sprechen?
        Vielleicht kommt man über eine genauere Untersuchung des Verlages bzw des Verlegers, seiner Kontakte und sonstigen Publikationen der Sache näher. Wissen Sie, ob es dazu eine wissenschaftliche Arbeit gibt?
        Herzliche Grüße
        Michael Krüger

        • Sehr geehrter Herr Krüger,

          Sie dürfen bohren! Für alle Spezialfragen können Sie natürlich das Beethoven Haus in Bonn kontaktieren. Zuerst würde ich Ihnen raten, das neue Beethoven Werkverzeichnis zu konsultieren. Hier ein paar Literaturhinweise; in den entsprechenden Publikationen wird die Echtheit kontrovers diskutiert:
          Willy Hess: “Echt oder unecht? […]” in: Beethoven, Studien zu seinem Werk, Winterthur 1981, S. 39-41.
          Gustav Nottebohm: “Thematisches Verzeichnis […]”, Leipzig 1868, Nachdrucke 1913, 1927, S. 148.
          Hugo Riemann: “L. van Beethoven sämtliche Klavier-Solosonaten […]”, Berlin 1918, S. 1.
          Alexander Wheelock Thayer: “Chronologisches Verzeichnis […]”, Berlin 1865, S. 11.
          Viel Erfolg und Freude bei der Recherche wünscht mit herzlichen Grüßen,
          Norbert Müllemann

  4. Kirmeier Konrad sagt:

    Die Sonatine WoO50, die Beethoven für seinen Lebensfreund Wegeler komponiert hat dürfte wohl den Titel leicht auch verdient haben, und gilt ziemlich sicher als echt, und hat sogar Fingersätze von Beethoven…

    • …stimmt genau! Nur die Fingersätze sind nach dem neuen Beethoven Werkverzeichnis vielleicht doch nicht von Beethoven selbst, sondern von Franz Wegeler, trotz des Vermerks auf der Handschrift, die Beethoven offenbar für Wegeler anfertigte, wonach die Sonatine von Beethoven für ihn “bezeichnet” sei.

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