Feuilleton
Schumann Forum 2010
Die „Mondnacht“
von Wolf-Dieter Seiffert
Geschäftsführer G. Henle Verlag
15. August
Mondnacht
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blüten-Schimmer
Von ihm nun träumen müßt’.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Aehren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
(Joseph Freiherr von Eichendorff, Gedichte, Berlin [Duncker und Humblot] 1837, S. 391.)
Eichendorffs „Mondnacht“-Gedicht zählt fraglos zu seinen stärksten. Angeblich ist es eines der beliebtesten Gedichte der Deutschen überhaupt. Das glaube ich gerne, denn auch der ach so „moderne“ Mensch des 21. Jahrhunderts kann sich der Magie dieser drei Strophen wohl kaum entziehen. Und zwar nicht alleine wegen Eichendorffs geradezu erschütternder Sprachmächtigkeit, seines charakteristischen Sehnsuchtstons und der raffinierten Verschränkung von Naturerleben und Innenspiegelung. Eichendorffs stärkste Gedichte weisen stets noch darüber hinaus, ins Große, Metaphysische, ja Religiöse. Das ist ganz unüberhörbar auch bei der „Mondnacht“ der Fall, und das Codewort dafür ist „meine Seele“ (zu Beginn der 3. Strophe). Das zart berührende Bild des Todes als sanfte Heimkehr der Seele („nach Haus“) empfinden wir wie eine „Befreiung von irdischer Schwere und Bitterkeit“ (so der Germanist Wolfgang Frühwald in einer exzellenten Spezialstudie). Nicht übersehen sollte man auch die schlichte Tatsache, dass sich die „Mondnacht“ in Eichendorffs Gedichtband ausgerechnet unter den „Geistlichen Gedichten“ befindet.
Die Herausgeberin der Henle Urtextausgabe des „Liederkreises“ op. 39 von Schumann, in dem die „Mondnacht“ bekanntlich das fünfte von insgesamt 12 Liedern bildet, weist in ihrem Vorwort darauf hin, dass im 19. Jahrhundert „die religiöse Bindung des Textes der Mondnacht anscheinend noch bekannt [war], denn dieses Lied erklang auch am 22. September 1856 bei der musikalischen Gedächtnisfeier für Robert Schumann in Dresden“ (Kazuko Ozawa). Hier der Link zum Vorwort und weiteren Information zur brandaktuellen Henle-Urtextausgabe. Darin werden übrigens erstmals sämtliche (voneinander abweichenden) Fassungen von Schumanns „Mondnacht“ abgedruckt; es sind beeindruckende vier Fassungen.
Wer sich der Sinnlichkeit und dem verborgenen Sinn des „Mondnacht“-Textes einmal ausgiebig hingeben will, der klicke auf folgenden YouTube-Link; drei großartige, ganz unterschiedliche Schauspieler rezitieren hier den Text:
Rezitation von Gert Westphal (1963) [Video leider nicht mehr verfügbar]
Rezitation von Dieter Mann (2001) [Video leider nicht mehr verfügbar]
Rezitation von Katharina Thalbach [Video leider nicht mehr verfügbar]
Caspar David Friedrich (1819):
Zwei Männer in Betrachtung des Mondes
Und es gibt eine versteckte, bislang meines Erachtens unentdeckt gebliebene wundervolle musikalische Anspielung Roberts an seine Braut: Die „Mondnacht“-Melodie zitiert nämlich wörtlich den Anfang des berühmtesten Beethoven-Lieds mit dem bezeichnenden Titel „An die ferne Geliebte“ (op. 98). Dass Schumann dieses Beethoven-Lied kannte, wissen alle Schumann-Kenner: Er zitiert am Schluss des ersten Satzes der C-dur-Fantasie op. 17 aus demselben Stück eine nicht weniger bezeichnende Textstelle ebenfalls wörtlich: „Nimm sie hin denn, diese Lieder, die ich dir, Geliebte, sang“.
In meiner sehr umfangreichen YouTube-Playlist der „Mondnacht“, die Sie am Ende dieses Beitrags finden, fehlt eine von mir sehr geschätzte Aufnahme, nämlich die von Christian Gerhaher und Gerold Huber (siehe auch den vorausgehenden Beitrag vom 1. August). Dafür kann ich Ihnen hier den Link auf Beethovens „An die ferne Geliebte“ mit Gerhaher/Huber in einem begeisternden Privatmitschnitt bieten; Sie werden die „Mondnacht“-Anspielung gleich zu Beginn sowie später die Stelle mit „Nimm sie hin denn, diese Lieder“ sofort erkennen:
Teil 1
[Video leider nicht mehr verfügbar]
Teil 2
[Video leider nicht mehr verfügbar]
Um diesem besonderen Schumann-Lied nun näher zu kommen, habe ich mich des Wissens und der Kunst einer der bedeutendsten Sängerinnen und Gesangsprofessorinnen unserer Zeit vergewissert und mit Frau Dr. h.c. mult. Edith Wiens ein Gespräch über Schumann und die „Mondnacht“ geführt. Edith Wiens hat in ihren Konzerten (und CDs) nicht nur den Schumann-Ton so unnachahmlich beseelt und berückend getroffen, sondern sie wird in wenigen Tagen auch dem Ruf auf eine Gesangsprofessur an der Juilliard School of Music in New York folgen. Das Gespräch mit dieser großen Künstlerin dauerte über eine Stunde und ich kann es hier aus Platzgründen leider nur in Ausschnitten (meist in Deutsch, aber gelegentlich auch Englisch) wiedergeben.
Zunächst drehte sich unser Gespräch um den Text von Eichendorff und dessen „Übersetzung“ ins Lied. Dann kamen wir auf Schumann zu sprechen. Warum ist die „Mondnacht“ ein so „besonderes“ Lied?
Wodurch zeichnet sich nach Meinung von Edith Wiens eine gelungene Interpretation der „Mondnacht“ aus?
Es gibt kaum eine/n Sänger/in (unter den professionellen), der/die nicht doch ein bisschen Angst vor der „Mondnacht“ hätten. Warum ist das so? Worin liegen die vermeintlichen (technischen) Schwierigkeiten? Sollte man in einem gewissen Alter sein, um die „Mondnacht“ zu singen und wie steht das Lied in technischer, stimmlicher Hinsicht im Kontext der anderen Lieder dieses Zyklus?
Welche Stimmlage bevorzugt Edith Wiens für die „Mondnacht“? Ist es ein Lied eher für eine Männer- oder Frauenstimme? Darf man transponieren?
Abschließend saßen Edith Wiens und ich vor dem PC und wir hörten uns etliche (ältere und neuere) Aufnahmen der „Mondnacht“ von Robert Schumann an, wie sie auf YouTube zu finden sind (siehe unten). Ich wollte gerne von ihr wissen, welche Aufnahmen ihr gut oder nicht so gut gefallen und warum. Für fast jeden Künstler hatte Frau Wiens ein freundliches, lobendes Wort. Es war eine wunderbare Lehrstunde hochprofessioneller Kritik.
Eine ihrer Lieblingsaufnahmen ist diejenige von Dietrich Fischer-Dieskau mit Günther Weissenborn, vor allem wegen der sängerischen Leistung. Richard Taubers Aufnahme nimmt sich viel zu viele Freiheiten gegenüber dem Text, es wirkt fast wie improvisiert; und doch hat er die berühmte „Träne“ in der Stimme, was Frau Wiens durchaus anrühren kann. Bryn Terfel findet Wiens hervorragend, wie „ein warmes Bad“; ein Opernsänger, der das Lied versteht, vielleicht bei den ganz zarten Tönen aber etwas Mühe hat? Aus jüngerer Zeit ist ihre favorisierte Aufnahme diejenige von Matthias Goerne mit Eric Schneider. Warum?
Hier der Link auf die Aufnahme: [Video nicht mehr verfügbar].
Von all den vielen Pianisten auf den YouTube-Aufnahmen, die wir abhörten, zeigte sich Edith Wiens beeindruckt von der Klavierbegleitung Leonhard Hokansons (mit Hermann Prey) und ganz besonders vom Klavierspiel Vladimir Ashkenazys, wie er Barbara Bonney begleitet, die ihrer Meinung nach „sehr seelenvoll“, aber ihr insgesamt doch ein wenig zu eindimensional (Vibrato!) singt. Die Kunst der optimalen Klavierbegleitung erklärt Frau Wiens so: Das Klavierspiel muss das Gegenteil von linear sein, es muss kreisen und unmerklich Akzente, Impulse setzen. Das nimmt dem Sänger jegliche Angst. Wiens zieht einen interessanten Vergleich zu Richard Strauss’ Lied „Die Nacht“ op. 10 Nr. 3:
Hier die Aufnahme der Bonney mit dem wunderbar musikalisch begleitenden Vladimir Ashkenazy: [Video nicht mehr verfügbar].
Auf meinen Dank für das ausführliche Gespräch, bei dem ich so vieles Neues lernen konnte, antwortete Frau Wiens folgendes:
Die folgende YouTube-Playliste, eigens für meine Leser des Schumann-Forums 2010 erstellt (unter kräftiger Mithilfe von Cornelia Nöckel – vielen Dank!) enthält dutzende von „Mondnacht“-Aufnahmen. Man muss sich schon ein wenig Zeit dafür nehmen und in der gewissen Stimmung sein, um sich einige davon konzentriert anzuhören. Vielleicht wollen Sie sich dafür folgenden Termin vormerken: Dienstag, 24. August 2010. Dann steht nämlich der nächste Vollmond am Firmament. (Woher ich das weiß?: www.timeanddate.com).
Aber Vorsicht: Werden Sie nicht mondsüchtig! Schumann/Eichendorff-Sucht ist freilich nur all zu verständlich.