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Feuilleton

Schumann Forum 2010

"Schumann/Chopin (Teil 2)"

von Wolf-Dieter Seiffert
Geschäftsführer G. Henle Verlag

15. März

Vor kurzem las ich, Chopins Lieblingsfarbe sei „Taubenblau“ gewesen. Voilà – dann hätten ihm Henle-Noten allein schon wegen unsres Umschlags gut gefallen.

Was aber Chopin sicherlich noch viel wichtiger war, ist der korrekte Druck seiner Werke. Zwar führte er selbst, wie man zuverlässig weiß, seine Werke niemals völlig gleich auf und brachte quasi improvisierend immer neue Lebendigkeit in seine Kompositionen. Wenn es aber an die Drucklegung ging, waren ihm alle Details äußerst wichtig, was wir vor allem seinen akribischen Notenhandschriften, den von ihm korrigierten Abschriften und auch der Korrespondenz mit den Verlegern entnehmen können.

Warum wir Editoren es dennoch so schwer haben mit Chopin, liegt daran, dass er seine Werke nicht in dem e i n e n verbindlichen Druck überlieferte, sondern sie meist in Frankreich, England und Deutschland bei verschiedenen Verlegern gleichzeitig herausbrachte. Und diese Verleger erhielten oft genug handschriftliche Vorlagen zum Notenstich, die voneinander abwichen. Abgesehen davon machen freilich die Notenstecher auch Fehler, die Chopin oder seine Helfer nicht erkannten, so dass es in den meisten Fällen drei oder mehr autorisierte Drucke eines Chopin-Werks gibt, die leider im Detail voneinander abweichen. Was also tun?

In solchen Fällen muss man große Erfahrung mit der Überlieferung der Werke Chopins haben, um richtige Entscheidungen zu treffen. Sollten Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, einmal selbst einen konkreten Eindruck solcher Druckausgaben verschaffen wollen, dann empfehle ich Ihnen den Besuch folgenden Links. Es handelt sich um das fantastische Angebot von » „CFEO“ (Chopin’s First Editions Online), in dem sie in all diesen frühen Drucken nach Lust und Laune blättern können.

An dieser Stelle muss freilich auch auf ein erst vor wenigen Tagen erschienenes Standardwerk zur Chopin-Überlieferung hingewiesen werden. Ein Muss für den Chopin-Enthusiasten und jeden bibliographisch interessierten Musiker und Musikwissenschaftler:
» Christophe Grabowski, John Rink: Annotated Catalogue of Chopin’s First Editions. Cambridge, (Cambridge University Press) 2010

Auf drei weitere digitale Angebote sei an dieser Stelle wenigstens hingewiesen, die sich womöglich noch gar nicht so recht herumgesprochen haben:

  • Zum einen arbeitet die „University of London, Royal Holloway“ unter Professor Dr. John Rink an einer digitalen Darstellung und Kommentierung sämtlicher wichtiger Chopin-Quellen (Handschriften und Drucke). Dieses einzigartige Projekt wird in Kürze, wie man hört, wesentlich mehr Konkretes bieten, als die beiden derzeit als Prototyp vorgestellten Préludes aus Opus 28:
    » www.ocve.org.uk
  • Zum zweiten plant das „Fryderyk Chopin Institut“ in Warschau im Rahmen der „National Digital Library“ eine umfassende Digitalisierung von Chopins Handschriften, seiner Korrespondenz und anderer Memorabilia; diese Chopin-Manuskripte wurden kürzlich in das » „Memory of the World“-Programm der Unesco aufgenommen. Ich empfehle also allen Chopin-Fans, künftig öfter mal auf folgende Homepage zu gehen, um zu sehen, ob und wann sich etwas tut:
    » www.chopin.nifc.pl
  • Und zum dritten kann man sich Frédéric Chopin auch über eine gut gemachte, umfassend informierende multimediale Chopin-Enzyklopädie nähern (in polnischer und englischer Sprache):
    » www.chopin.pl

Für einen Urtext-Verlag ist es Verpflichtung und Selbstverständnis, die Werke der Komponisten so korrekt wie nur irgend möglich wiederzugeben. Das ist ein hoher, im Falle Chopins nur mit sehr viel Aufwand zu erreichender Anspruch. Aber wir im G. Henle Verlag stellen uns dieser Verpflichtung.

Seit einigen Jahren verstärkt der Musikwissenschaftler Dr. Norbert Müllemann unser Lektoren-Team als fester Mitarbeiter. Er hat eine viel beachtete Doktorarbeit über Chopins frühe Handschriften geschrieben. Im Laufe der kommenden Jahre wird er Schritt um Schritt die Urtextausgaben von Chopin im Henle Verlag nochmals gewissenhaft überprüfen und letztlich neu herausgeben. Die » „Préludes“ und die » „Balladen“ sind bereits heraus. Die große Polonaise op. 53 wird im Laufe diesen Jahres als nächste Chopin-Revision bei Henle folgen.

Ich führte am 4. März 2010 ein Gespräch mit Herrn Dr. Müllemann und gebe es hier in zwei Teilen wieder:

» den ersten Teil des Gesprächs in gedruckter Form (in deutsch und englisch); hier sprechen wir über die Herausforderungen des Philologen im Umgang mit Chopin-Quellen.

... den zweiten Teil des Gesprächs als Audio-Datei (auf deutsch); hier befrage ich Herrn Müllemann zu seinen Eindrücken zur Situation der Chopin-Forschung, die er gerade in Warschau gewonnen hat. Denn er besuchte Anfang März den internationalen Chopin-Kongress und hielt dort auch einen Vortrag:

Und nun, meine verehrten Leserinnen und Leser des „Schumann-Forum 2010“ wird es höchste Zeit, sich allmählich wieder unserem eigentlichen Geburtstagskind, nämlich Robert Schumann, zuzuwenden.

Dazu will ich Ihnen nach Evgeny Kissin (siehe 1. März) zunächst den zweiten prominenten Pianisten mit seinen Antworten zu meinen neun Fragen präsentieren. Lesen Sie hier, welches Verhältnis Maestro Gerhard Oppitz zu Schumann/Chopin pflegt. » Neun Fragen an Gerhard Oppitz

 

Die Brücke von Chopin zu Schumann bildet aber eine wunderbare Neuerscheinung des G. Henle Verlags aus Anlass des Chopin-Jahres 2010. Als hochwertiges Faksimile ist erschienen:

 

Chopins eigene Handschrift seiner Polonaise in As-dur op. 53. Diese Handschrift trägt alle charakteristischen Züge des reifen Meisters und ist eine reine Augenweide. Das Original liegt in der Pierpont Morgan Library, New York.

Natürlich ist unser gedrucktes Faksimile weitaus schärfer und enthält auch noch einen wissenschaftlichen Kommentar. In diesem können Sie auch nachlesen, warum Opus 53 eine Brücke von Chopin zu Schumann bildet: Clara Schumann war nämlich einst stolze Besitzerin dieser Handschrift Chopins. Sie schätzte das Werk auch ungemein und nahm es als erste und einzige Polonaise in ihr Repertoire auf.

Wie Clara Schumann dieses berühmte Klavierstück Chopins spielte, werden wir leider nie hörend erfahren. Aber ich habe für Sie im Internet einen Konzertmitschnitt des großen Vladimir Horowitz gefunden. Er spielt die As-dur-Polonaise hier derartig souverän, überwältigend, dass es jedem musikalischen Menschen Tränen der Begeisterung in die Augen treiben muss:

[Video leider nicht mehr verfügbar]

Am 1. April geht es weiter, und dann konzentrieren wir uns wieder ganz auf den immer etwas im Schatten Chopins stehenden: Robert Schumann.

 

PS: » Am 15. Februar bat ich Sie, mir Ihre Lieblingsaufnahme des Schumannschen Klavierkonzertes zu nennen. Schade, dass sich nur wenige Leser daraufhin gemeldet haben. Die drei ausgelobten Preise sind jedenfalls vergeben und eine Zuschrift davon will ich Ihnen (mit Genehmigung der Leserin) nicht vorenthalten:

„By far my favorite is Sequeira Costa's recording (1994); Label: Naxos, Conductor: Stephen Gunzenhauser, Orchestra: Gulbenkian Foundation Symphony Orchestra Lisbon. Sequeira Costa was my teacher for many years (I did study the Schumann Concerto with him), and I have never met any musician quite like him. His concept of sound, his dedication to the spirit of the score, and his philosophy sets him apart. He recently finished the entire cycle of the Beethoven Sonatas, and even though he is 80 years old, he still concertizes on a very high level” (Suzanna K. Perez, USA).

 

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