Feuilleton
Schumann Forum 2010
Schumanns "Spätwerk"
von Wolf-Dieter Seiffert
Geschäftsführer G. Henle Verlag
1. Dezember
Robert Schumann starb am 29. Juli 1856 im Alter von 46 Jahren, also auch für damalige Verhältnisse viel zu jung. Als "Spätwerk" wird man also Werke seiner letzten Lebensjahre, sagen wir ab etwa 1850, nur relativ bezogen auf seine (kurze) Lebensspanne bezeichnen können. Oder macht sich gerade in diesen "Spät"-Werken ein neuer Ton bemerkbar, etwas, was man als "Altersstil" bezeichnen könnte? Und: Inwieweit spielt Schumanns Geisteskrankheit in diesen Fragekreis hinein? Besondere Publikumsmagnete sind die Werke aus Schumanns letzten Lebensjahren (ganz im Gegensatz zum "Frühwerk") sicherlich nicht. Das muss seinen Grund haben.
Nun, diese Fragen sind ja durchaus nicht neu. Sie werden spätestens seit den 1980er-Jahren in der Musikwissenschaft intensiv diskutiert. In jüngerer Zeit setzen sich immer mehr Musiker insbesondere für Schumanns "Spätwerk" stark ein. Man kann heute, Ende 2010, wohl die Behauptung wagen, zu einem Großteil seien auch diese Schumann-Kompositionen "rehabilitiert", wenn auch noch nicht weit genug verbreitet und bekannt.
Auch in unserem "Schumann-Forum" kamen zu dieser Thematik in den vergangenen Monaten zahlreiche Musiker zu Wort. Treue Leser des Forums werden sich erinnern (die anderen können es gerne nachlesen), dass die Meinungen hier durchaus erheblich auseinander gehen. Das reicht von Gerhard Oppitz Bemerkung: "Genialisch, visionär, enigmatisch" (9 Fragen an Gerhard Oppitz) bis zu Christian Zacharias: "Schumanns Spätwerk für Klavier ist für mich befremdlich" (9 Fragen an Christian Zacharias).
Die Nervenheilanstalt in Endenich bei Bonn um 1850
Erschwert wird eine nüchterne Betrachtung solcher möglicher Gründe freilich durch die bekannten bedrückenden und traurigen Umstände von Schumanns Dahinsiechen und schließlich Sterben in der privaten Heilanstalt des Dr. Franz Richarz in Endenich. Unter Medizinern besteht weitgehend Einigkeit, dass Schumann in seinen letzten Jahren an einer progressiven Paralyse einer früh erworbenen (1831) syphilitischen Erkrankung litt.
An diesem Konsens wird wohl auch die zurzeit kontrovers diskutierte These von Uwe Peters nichts ändern, der mit einem bewährten Taschenspielertrick die Vielzahl an völlig eindeutigen Dokumenten (Tagebücher, Briefe, Berichte) gewaltsam uminterpretiert und letztlich zum "spektakulären" Ergebnis kommt, Schumann sei nicht geistes-, sondern schlicht alkoholkrank gewesen und schließlich von seiner Frau Clara ins Irrenhaus nach Endenich abgeschoben worden.
Faktum ist jedenfalls, dass Werk und Krankheit bei Schumann immer noch eine besonders unselige Verquickung erfahren, nach dem Motto: Von einem Geisteskranken kann man eben nicht mehr erwarten.
Dr. Wolf-Dieter Seiffert und
Prof. Hans-Joachim Kreutzer
Für unser "Schumann-Forum" führte ich zu diesen komplexen Fragen ein Gespräch mit Hans-Joachim Kreutzer. Dieser höchst anregende Gesprächspartner hat den ungemeinen Vorteil, dass er weder zu den musikwissenschaftlichen Apologeten des Schumannschen "Spätwerks" zählt, noch zu den Musikern, die sich ja als Aufführende mit mehr oder weniger guten Argumenten für ein "pro" oder "contra" entscheiden müssen. Herr Kreutzer, ein großartiger Laienmusiker im allerbesten Sinne, ist ein international hoch angesehener Germanist und war Ordinarius an der Universität Regensburg sowie Präsident der Kleist-Gesellschaft. Kreutzer hat zahllose Beiträge aus der Schnittmenge zwischen Germanistik und Musikwissenschaft verfasst. Vor allem aber – sagt der Redakteur des Schumann-Forums – ist er ein intimer Kenner des Werkes von Robert Schumann.
Das auf einige wesentliche Kernaussagen Kreutzers zu Schumanns "Spätwerk" gekürzte Audio-Interview (in Deutsch) können Sie im Folgenden anhören. In Form einer schriftlichen Zusammenfassung (Deutsch oder Englisch) können Sie es aber auch hier nachlesen und ausdrucken.
Frage: Herr Kreutzer: Benutzen Sie im Falle Schumanns überhaupt das Wort "Spätwerk" und warum?
Frage: Inwieweit teilen Sie die weit verbreitete Ansicht, Schumanns Werke aus seinen letzten Lebensjahren seien geprägt von seiner Erkrankung und war das eigentlich von Beginn an die Ansicht des Publikums?
Frage: Sie erwähnten insbesondere Schumanns Harmonik, die sich im "Spätwerk" merklich gegenüber früher verändert. Können Sie das noch für uns präzisieren?
Frage: Neues, Unerwartetes – ist das ein Merkmal für Schumanns "Spätwerk"? Und welche Art von Neuartigem fällt Ihnen dazu ein?
Frage: Welche konkreten Werke imponieren Ihnen dabei am meisten?
Frage: Welche Werke des späten Schumann spielen oder hören Sie besonders gerne und warum?
Frage: Gibt es späte Werke des späten Schumann, die sie als letztlich "misslungen" bezeichnen würden?
Frage: Woran liegt es denn, dass dennoch viele Musiker gewissermaßen einen "Bogen" um Schumanns "Spätwerk" machen. Schielen die alle auf das "große Publikum", das lieber die "Davidsbündlertänze" hören will als die "Gesänge der Frühe"?
Lieber Herr Kreutzer, haben Sie sehr herzlichen Dank für unser schönes Gespräch.
Liebe Leser, zum Beschluss darf ich Ihnen noch einen Link auf eine historische Aufnahme des Violinkonzerts von Robert Schumann anbieten. Das Beispiel ist zwar aufnahmetechnisch alles andere als befriedigend, aber diese Aufführung bewegt (mich) umso tiefer, als Georg Kulenkampff hier Schumanns Spätwerk nach fast 100-jährigem Tiefschlaf wachküsste (Erstaufführung und Einspielung). Dass er recht frei in Schumanns Notentext eingriff, sei ihm angesichts der wahren künstlerischen Größe, die sein Schumann-Spiel ausdrückt, gerne nachgesehen:
Georg Kulenkampff, Violine, Berliner Philharmoniker, Hans Schmidt-Isserstedt (1937)
Schumann, Violinkonzert d-moll, 1. Satz (Teil 1):
Schumann, Violinkonzert d-moll, 1. Satz (Teil 2):
Am 15. Dezember schließe ich mit einem Beitrag zu Schumanns allerletztem Werk für immer das "Schumann-Forum". Ich freue mich auf Ihren Besuch.