Feuilleton
Schumann Forum 2010
Zur Originalität Schumanns, Teil 1
von Wolf-Dieter Seiffert
Geschäftsführer G. Henle Verlag
1. Oktober
András Schiff
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
zu meinen ganz besonderen Konzerterlebnissen der letzten Jahre zähle ich eine Schumann-Matinée, die der Pianist András Schiff im wundervollen „Reitstadl“ in Neumarkt Anfang 2009 gegeben hat. Das Konzert wurde live mitgeschnitten und erscheint bei ECM auf CD (voraussichtlich Anfang 2011). Es war mir also ein besonderes Vergnügen, diesen Ausnahmekünstler für Sie, liebe Leser des „Schumann Forums“, zu Robert Schumann zu befragen.
In das Zentrum unseres Gesprächs stellten wir die Frage, ob es einen spezifischen Schumann-Ton gäbe und wie er wohl zu beschreiben und zu fassen sei. Im Folgenden können Sie Ausschnitte des in deutscher Sprache geführten Gesprächs hören. Eine schriftliche Zusammenfassung (deutsch und englisch) wird aber gerade meinen nicht deutsch sprechenden Lesern willkommen sein:
Auf die Kernfrage unseres Gesprächs, ob es denn überhaupt einen spezifischen „Schumann-Ton“ gäbe, antwortete András Schiff wie folgt bestätigend:
Um diesen Schumann-Ton konkreter fassen zu können, ging Schiff dann intensiv auf den Klaviersatz Schumanns ein, den er für revolutionär und genial hält. Ein wesentlicher Aspekt ist ihm dabei die ungewöhnliche Satzweise der Mittelstimmen:
Weil Schiff in seiner Antwort insbesondere auf den Anfang der C-Dur-Fantasie op. 17 zu sprechen kam, will ich Ihnen hier wenigstens den Link auf die entsprechende Urtextausgabe des Henle Verlags geben (klicken Sie einfach auf die Cover-Abbildung). Auch darf ich auf die Ausgabe des Schumann-Forums vom 15. September verweisen.
Dann ging Schiff auf Robert Schumanns ungewöhnlichen Umgang mit dem Metrum ein; er verstecke gerne die Takt-Eins, um damit einen ganz besonderen Ton zu treffen:
Ein weiteres untrügliches Merkmal für den Schumann-Ton sind András Schiff zu Folge dessen Pedalangaben im Klavierwerk:
Eine Beobachtung, die wir alle gemacht haben, wenn etwa Schumanns „Kreisleriana“ op. 16 erklingen: Das Stück endet bekanntlich sehr leise, im dreifachen Pianissimo. Der Kapellmeister ist in der Ferne verschwunden, das Publikum verunsichert. Ist das Stück nun zu Ende? Darf man klatschen? András Schiff hebt diese besondere Eigenart vieler Schumannscher Klavierwerke, die eben gerade nicht publikumswirksam donnernd enden, hervor:
Hier der Link auf die Henle-Ausgabe der „Kreisleriana“ (klicken Sie einfach auf die Cover-Abbildung):
András Schiff hält – das ist nicht überraschend – Schumanns unkonventionelle Tempoangaben, seine poetischen Motti mancher Werke, ja den geistig-literarischen Hintergrund des Schumannschen Werks für außerordentlich wichtig und inspirierend. Was er im Falle Mozarts oder Bachs sich selbst imaginieren muss, dazu gibt Schumann dem Spieler enorme Hilfe durch seine Worttextbeigaben:
Schließlich kamen wir auf das Spätwerk Schumanns zu sprechen, das András Schiff so sehr schätzt, dass aber von vielen Pianisten gemieden wird wie die Pest. Woran das wohl liegen mag?
Zu den beiden von Schiff beispielhaft herangezogenen Spätwerken, den „Gesängen der Frühe“ sowie den „Es-Dur-Variationen“ (genannt „Geistervariationen“) sei hier der Link auf weitere Information gegeben (klicken Sie einfach auf die Cover-Abbildung).
Zum Abschluss unseres Gesprächs kam András Schiff auf den besonderen Wert der Erstfassungen Schumannscher Klavierwerke zurück, die er oftmals für genialer hält als die von Schumann später herausgebrachten Fassungen „letzter Hand“. Schiff bringt diesen Wunsch Schumanns zur ständigen Verbesserung an fertiggestellten Werken mit Schumanns seelischer Labilität und mit dessen lebenslanger Unsicherheit in Zusammenhang:
Bereits im Frühjahr des Schumann-Forums hatte ich Ihnen, sehr verehrte Leserinnen und Leser, die Antworten von András Schiff auf meine neun Fragen zu Chopin/Schumann präsentiert (siehe 1. April). An dieser Stelle wird aber sicherlich der nochmalige Link auf Schiffs hochinteressante Antworten willkommen sein:
9 Fragen an András Schiff (pdf)