Shop durchsuchen

Feuilleton

Schumann Forum 2010

Zur Originalität Schumanns, Teil 2

von Wolf-Dieter Seiffert
Geschäftsführer G. Henle Verlag

15. Oktober

Christian Zacharias

Liebe Schumann-Freunde in aller Welt,

einer der ganz großen Schumann-Pianisten (und Dirigenten) unserer Zeit ist Christian Zacharias. Als ich das Schumann-Forum 2010 im Januar startete, war es bereits mein besonderer Wunsch, diesen Musiker zu Schumann befragen und seine Antworten online stellen zu dürfen. Im Sommer, zwischen seinen Probenterminen während der „Schubertiade“ in Schwarzenberg (Österreich) ist es mir dann tatsächlich gelungen. Wir saßen am Rande einer grünen Wiese, die Vögel veranstalteten eine große Natursymphonie (man hört es auf der Aufnahme des Interviews) und Maestro Zacharias war in bester (Gesprächs-) Laune.

Die Wiedergabe des Interviews mit Christian Zacharias im Rahmen des Schumann-Forums ist mir auch deshalb eine besondere Ehre, als der G. Henle Verlag damit Maestro Zacharias zu seinem 60. Geburtstag gratulieren kann, den er im Frühjahr dieses Jahres feiern konnte. Wie sehr die Musik Robert Schumanns im Zentrum dieses Künstlers steht, erkennt man nicht nur an seinen reichen Schumann-Konzerten und –Aufnahmen, sondern auch an seiner Mitwirkung einer französisch-sprachigen Filmproduktion aus dem Jahr 1989: „Robert Schumann – Le poète parle“.

Ich habe Christian Zacharias mehr oder weniger dieselben Fragen gestellt, die auch das intensive Gespräch mit András Schiff bestimmten (siehe hier vorausgehend unter dem 1. Oktober). Letztlich ging es um die Frage, was so ganz besonders, so einzigartig und originell an Schumanns (Klavier-) Musik ist. Seine Antworten zeugen, wie bei Schiff, von einer unglaublich tiefgründigen Kenntnis des Schumannschen Werks. Er steht vielleicht einigen Werken Schumanns kritischer gegenüber als Schiff (zum Beispiel hält er die „Papillons“ op. 2 für noch nicht durchweg gelungen, während Schiff sie ja als Schlüsselwerk Schumanns versteht), aber nach einer Stunde Schumann-Gespräch war für mich völlig klar, dass hier ein Schumann-Besessener Auskunft über seine lebenslange Liebe gibt.

Sie, liebe Leserinnen und Leser, können das Interview exklusiv hier miterleben. Ich habe es einerseits als Abstract in Deutsch und Englisch zusammengefasst, andererseits die wichtigsten Interview-Ausschnitte (deutsch) zusammengestellt.

Christian Zacharias mit Dr. Wolf-Dieter Seiffert

Bevor ich überhaupt meine vorbereiteten Schumann-Fragen ausgepackt hatte, kam er sogleich auf Schumanns Metronomangaben zu sprechen und über den Wert, diese nicht nur in Urtextausgaben zuverlässig mitgeteilt zu bekommen, sondern sie auch als Musiker sehr ernst nehmen zu müssen. Mein Beitrag zu diesem Thema im „Schumann-Forum 2010“ (das übrigens sämtliche authentischen MM-Angaben Schumanns in einer praktischen Liste anbietet) lobte er ausdrücklich in diesem Zusammenhang (siehe 15. Juli). Und weil der Henle Verlag jüngst das Klavierkonzert Schumanns im Urtext herausbrachte (siehe 1. Februar und 15. Februar) und es gerade auch bei diesem Meisterwerk bis heute zu gravierenden Missverständnissen der Pianisten kommt, was das Tempo und seine Relationen betrifft, so sprach Christian Zacharias zunächst ausführlich darüber. Hier ein Ausschnitt (inklusive Gesangseinlage), wo er über seine ersten Anläufe vor vielen Jahren spricht, die korrekten Metronomangaben entgegen der verfälschenden Tradition zu realisieren:

Das Büchlein, das Zacharias von Bruno Walter hier erwähnt, ist übrigens das bei S. Fischer vergriffene, aber im Antiquariat günstigst zu erwerbende (und sehr lesenswerte) „Von der Musik und vom Musizieren“.

Und dann ging es auch schon um die Kernfrage, was den Klaviersatz von Schumann denn so singulär macht, warum man ihm hier und da Sperrigkeit vorwirft. Zacharias hat eine verblüffende Antwort parat und er bezieht dabei nicht nur den Chopinschen (und Lisztschen) Klaviersatz vergleichend ein, sondern auch (als Dirigent) den Schumannschen Orchestersatz:

Im weiteren Verlauf des wunderbaren Gesprächs erwies sich Zacharias als ungemeiner Kenner nahezu des gesamten OEuvres Schumanns. Er zog Parallelen durch alle Gattungen und durch alle biographischen Stationen hindurch, verwies auf einzelne Stellen im Schumannschen Werk und beleuchtete sie – ich kam kaum noch hinterher. Immer wieder blitzte durch, dass er durchaus nicht jedes Werk Schumanns für meisterhaft gelungen hält. Besonders das Spätwerk sieht er (ganz anders als András Schiff) durchaus mit kritischem Blick. Also wollte ich es genauer wissen:

Ich persönlich empfinde Schumanns Pedalangaben in seinem Klavierwerk als besonders geniales Gestaltungselement, dem meiner Meinung nach noch viel zu wenig Pianisten Beachtung schenken (siehe auch 1. Mai). Ich meinte Christian Zacharias gegenüber, leider habe Schumann aber auch viele Stücke nur pauschal mit „Pedal“ bezeichnet, um wie folgt unterbrochen zu werden:

Und weil Christian Zacharias in dieser Antwort vor allem auf die „Papillons“ op. 2 zu sprechen kommt, sei hier der Link zur neuen Henle-Ausgabe für weitere Informationen gegeben. Auch den in der Musikgeschichte wohl einmaligen Schluss dieses Werks können Sie in Urtextqualität studieren, wenn Sie sich die Ausgabe besorgen.

Aus dem etwa einstündigen Gespräch habe ich, soweit es ging, meinen bekannten Fragebogen zu Chopin/Schumann destilliert und für Sie, liebe Leserinnen und Leser, in folgendem Dokument zusammengefasst. Lesen Sie, was Christian Zacharias auf die Ihnen inzwischen sicherlich geläufigen Fragen, antwortet:

» 9 Fragen an Christian Zacharias

Wer jetzt Lust bekommen hat, Schumann mit Zacharias zu hören, sollte am besten in eines seiner Konzerte gehen. Aber auch auf CD hat er bereits vieles von Schumann eingespielt. Seine Klavierkonzert-Aufnahme gehört dabei für mich persönlich zum Besten, was es gibt (siehe auch „Schumann-Forum 2010“, 15. Februar). Einen besonderen Hinweis verdient dabei meiner Meinung nach auch die unglaublich preisgünstige EMI-Klavierbox mit großen Schumann-Interpreten, die im Jubiläumsjahr herausgekommen ist:
Christian Zacharias ist in dieser Box mit den „Papillons“ op. 2, den „Davidsbündler-Tänzen“ op. 6 und den „Kinderszenen“ op. 15 vertreten.

Für unser Schumann-Forum möchte ich Ihnen einen Live-Mitschnitt der „Fantasiestücke“ op. 12 von Schumann (auf YouTube) anbieten. Er ist zwar schon 20 Jahre alt (Aufnahme von 1990 eines Festivals in Frankreich) und die Tonqualität auf YouTube ist leider nicht besonders gut. Aber dem schlackenlosen, feinen, hochmusikalischen und virtuosen Zugriff von Christian Zacharias kann man sich nicht entziehen – und nur bewundern:

1. Teil: op. 12 Nr. 1 „Des Abends“ und Nr. 2 „Aufschwung“

2. Teil: op. 12 Nr. 3 „Warum?“ und Nr. 4 „Grillen“

3. Teil: op. 12 Nr. 5 „In der Nacht“ und Nr. 6 „Fabel“

4. Teil: op. 12 Nr. 7 „Traumes Wirren“ und Nr. 8 „Ende vom Lied“

 

Liebe Schumann-Freunde: die nächste Ausgabe kommt direkt aus Shanghai (China). Freuen Sie sich drauf.


Übersicht zum Schumann-Forum