Im eben­so um­fang­rei­chen wie ein­drucks­vol­len kam­mer­mu­si­ka­li­schen Oeu­vre Beet­ho­vens neh­men die vier Stü­cke, die im Hen­le-Ka­ta­log unter der Ru­brik Man­do­li­ne und Kla­vier  seit Jahr­zehn­ten ver­geb­lich auf Ge­sell­schaft war­ten, in mehr­fa­cher Hin­sicht eine be­son­de­re Stel­lung ein: Zum einen durch die leicht exo­ti­sche Be­set­zung, zum an­de­ren durch ihre Ver­bin­dung mit der Pra­ger Com­tesse Jo­se­phi­ne von Cla­ry-Ald­rin­gen, als einer der gar nicht so we­ni­gen Frau­en in Beet­ho­vens Leben, mit denen er mög­li­cher­wei­se nicht nur in künst­le­ri­scher Hin­sicht ver­bun­den war. Zu­gleich bün­deln sich in die­sen zu­sam­men ge­ra­de mal 16 Par­ti­tur­sei­ten um­fas­sen­den Stü­cken aber auch über­ra­schend viele in­ter­es­san­te Über­lie­fe­rungs- und Edi­ti­ons­fra­gen, die einen ge­naue­ren Blick auf die­ses Rand­re­per­toire durch­aus loh­nen.

Die Man­do­li­ne er­leb­te ihre Blüte im 18. Jahr­hun­dert zu­nächst in Ita­li­en, wo sie be­son­ders in klei­nen Be­set­zun­gen mit Strei­chern bril­lier­te, von Kom­po­nis­ten wie An­to­nio Vi­val­di oder Jo­hann Adolf Hasse aber auch mit So­lo­kon­zer­ten be­dacht wurde. Ita­lie­ni­sche Vir­tuo­sen mach­ten den silb­rig-zar­ten Klang der in Quin­ten ge­stimm­ten nea­po­li­ta­ni­schen Man­do­li­ne gegen Ende des 18. Jahr­hun­derts auch nörd­lich der Alpen in Paris, Wien und Prag po­pu­lär. Und da das Man­do­li­nen­spiel auch eine züch­ti­ge Hal­tung er­laub­te, war der Er­folg bei der Da­men­welt gleich in dop­pel­ter Hin­sicht ga­ran­tiert: Ent­we­der sie spiel­te das In­stru­ment selbst im hei­mi­schen Krei­se (was sich im 19. Jahr­hun­dert auch bild­ne­risch zu einem ge­ra­de­zu klas­si­schen Sujet ent­wi­ckel­te) oder sie wurde von sei­nen zar­ten Klän­gen um­garnt – wie in Mo­zarts Don Gio­van­ni, wo der lie­bes­tol­le Prot­ago­nist sein nächt­li­ches Ständ­chen unter dem Fens­ter der An­ge­be­te­ten mit eben jenem In­stru­ment be­glei­tet.

Com­tesse Jo­se­phi­ne von Cla­ry-Ald­rin­gen. Ab­bil­dung mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Beet­ho­ven Haus Bonn.

Bei der 1787 in Prag er­folg­ten Ur­auf­füh­rung sei­nes Don Gio­van­ni konn­te Mo­zart sich üb­ri­gens auf die be­son­de­ren Qua­li­tä­ten des Pra­ger Opern­di­rek­tors und Kom­po­nis­ten Jo­hann Bap­tist Ku­ch­arz (1751–1829) ver­las­sen – der ne­ben­bei auch ein be­gna­de­ter Man­do­li­nist war und an­geb­lich auch Jo­se­phi­ne von Cla­ry-Ald­rin­gen auf die­sem In­stru­ment un­ter­rich­te­te. Dass die Com­tesse eine gute Sän­ge­rin „mit vie­ler An­muth“ war, konn­te man 1796 schon in Schön­felds Jahr­buch der Ton­kunst für Wien und Prag er­fah­ren. Ihre Kennt­nis der Man­do­li­ne hin­ge­gen er­schließt sich erst durch ihre mu­si­ka­li­sche Bi­blio­thek, in der sich ein be­trächt­li­cher An­teil an ent­spre­chen­der Li­te­ra­tur be­fand, als der Mu­sik­wis­sen­schaft­ler Ar­thur Chitz diese An­fang des 20. Jahr­hun­derts sich­te­te.

Beet­ho­ven mach­te die Be­kannt­schaft der Com­tesse An­fang 1796 in Prag, der ers­ten Sta­ti­on einer län­ge­ren Kon­zert­rei­se des auf­stre­ben­den Kom­po­nis­ten. Mit sei­ner dra­ma­ti­schen Szene „Ah! per­fi­do“ schuf er eine ef­fekt­vol­le Kon­zert­num­mer für die an­ge­se­he­ne Sän­ge­rin, wie seine Notiz auf einer von ihm über­prüf­ten Ab­schrift von Opus 65 be­legt: „Re­ci­ta­tivo e Aria com­pos­ta e de­di­ca­ta alla Si­gno­ra Com­tessa di Clari Da L v. Beet­ho­ven“. Über­reicht hat Beet­ho­ven ihr diese Ab­schrift aber of­fen­sicht­lich nicht, denn fand sich nach sei­nem Tod noch in sei­nem Be­sitz. Eine Auf­füh­rung der Kon­zer­ta­rie durch die Com­tesse in Prag ist nicht ak­ten­kun­dig, und auch die Erst­aus­ga­be von Opus 65 soll­te 1805 ohne jeg­li­chen Hin­weis auf sie.

Ori­gi­nal­aus­ga­be Hoff­meis­ter und Küh­nel. Ab­bil­dung mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Beet­ho­ven Haus Bonn.

Ein grö­ße­rer Kon­trast als der zwi­schen der Kon­zer­ta­rie „Ah! per­fi­do“ und den vier klei­nen Man­do­li­nen-Sät­zen lässt sich kaum den­ken. Hier die große Kon­zer­ta­rie vol­ler Dra­ma­tik, dort die in­ti­me Haus­mu­sik für Man­do­li­ne und Tas­ten­in­stru­ment – wie passt das zu­sam­men? Man kann es wohl als zwei Sei­ten einer Me­dail­le be­zeich­nen: Zum einen schuf Beet­ho­ven ein öf­fent­lich­keits­wirk­sa­mes Werk, des­sen Auf­füh­rung durch eine an­ge­se­he­ne Sän­ge­rin aus ad­li­gem Hause in Prag si­cher eine gute Pu­bli­ci­ty für den auf­stre­ben­den Kom­po­nis­ten ge­we­sen wäre; zum an­de­ren wid­me­te er ihr mit den zwei kur­zen So­na­ti­nen, einem ly­ri­schen Ada­gio und den ab­wechs­lungs­rei­chen Va­ria­tio­nen eine Aus­wahl von Stü­cken zum ge­mein­sa­men Mu­si­zie­ren im pri­va­ten Rah­men, wo­durch ein dau­er­haf­ter, per­sön­li­cher Kon­takt wäh­rend sei­nes mehr­wö­chi­gen Auf­ent­halts in Prag er­mög­licht wurde.

Die paar­wei­se Grup­pie­rung die­ser vier Stü­cke als WoO 43a/b (So­na­ti­ne und Ada­gio) und WoO 44 a/b (So­na­ti­ne An­dan­te con Va­ria­zio­ni) im alten Beet­ho­ven-Ver­zeich­nis von Kin­s­ky und Halm ist dem da­ma­li­gen Kennt­nis­stand der Über­lie­fe­rung ge­schul­det: Die bei­den unter WoO 44 ge­führ­ten Stü­cke waren auf­grund der Funde von Ar­thur Chitz in der gräf­li­chen Bi­blio­thek ein­deu­tig und aus­schließ­lich Jo­se­phi­ne von Clary zu­zu­ord­nen. Zum Ada­gio WoO 43b hin­ge­gen war ein frü­he­res Au­to­graph in Ber­lin er­hal­ten, und das in Lon­don über­lie­fer­te Au­to­graph zur So­na­ti­ne WoO 43a wies keine Wid­mung an die Com­tesse auf. Daher ging man bei die­sen bei­den Stü­cken zu­nächst davon aus, dass sie schon in Wien und mög­li­cher­wei­se für den Gei­ger und Man­do­li­nis­ten Wen­zel Krum­p­holz ent­stan­den waren, mit dem Beet­ho­ven gut be­freun­det war. Die bei­den zu WoO 43b über­lie­fer­ten Au­to­gra­phe wur­den von Willy Hess als ver­schie­de­ne Fas­sun­gen auf­ge­fasst, die er in sei­nen Sup­ple­men­ten zur Ge­samt­aus­ga­be sogar in einer syn­op­ti­schen Fas­sung dar­bot.

Erst in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts ergab sich durch ge­naue­re Un­ter­su­chung der Au­to­gra­phe ein an­de­res Bild: Dou­glas John­son stell­te in den 70er Jah­ren fest, dass die So­na­ti­ne WoO 43a auf Pa­pier ge­schrie­ben war, das Beet­ho­ven auf der Prag­rei­se dabei hatte. Auf dem­sel­ben Pa­pier ist auch die ver­meint­li­che zwei­te Fas­sung von WoO 43b no­tiert, die Ar­thur Chitz in der gräf­li­chen Bi­blio­thek ge­fun­den hatte. Zudem war die So­na­ti­ne WoO 43a Chitz zu­fol­ge auch in einer um­fang­rei­che­ren (heute lei­der ver­schol­le­nen) Ab­schrift von Man­do­li­nen­stü­cken aus der gräf­li­chen Bi­blio­thek ent­hal­ten. Es gab also kei­nen Grund mehr, die bei­den Stü­cke WoO 43 mit Wen­zel Krum­p­holz in Ver­bin­dung zu brin­gen, viel­mehr hand­fes­te Hin­wei­se, dass auch diese 1796 in Prag für die Com­tesse ent­stan­den waren.

Bei sei­ner Edi­ti­on der Man­do­li­nen-Stü­cke für die neue Beet­ho­ven-Ge­samt­aus­ga­be stell­te Her­aus­ge­ber Armin Raab in den 90er Jah­ren dann auch klar, dass die bei­den Au­to­gra­phe von WoO 43b nicht zwei ver­schie­de­ne, ab­ge­schlos­se­ne Fas­sun­gen do­ku­men­tie­ren, son­dern meh­re­re Werk­sta­di­en. Das zu­nächst als Rein­schrift be­gon­ne­ne Ber­li­ner Au­to­graph wurde von Beet­ho­ven so stark über­ar­bei­tet, dass man dar­aus nicht mehr hätte mu­si­zie­ren kön­nen, zudem ent­hielt es noch keine An­ga­ben zu Dy­na­mik und Ar­ti­ku­la­ti­on. Diese no­tier­te Beet­ho­ven erst bei der er­neu­ten Nie­der­schrift des Wer­kes, die von ihm dann auch mit Titel und der Wid­mung „pour la belle J par LB“ ver­se­hen wurde.

Aus­schnitt aus dem stark kor­ri­gier­ten Au­to­graph zu WoO 43b (T. 56-71) Staats­bi­blio­thek Ber­lin

Auch das Au­to­graph der Va­ria­tio­nen WoO 44b weist star­ke Über­ar­bei­tun­gen auf: So war das Thema zu­nächst voll­tak­tig und nicht auf­tak­tig kon­zi­piert. Erst bei der letz­ten Va­ria­ti­on an­ge­langt, ent­schied Beet­ho­ven sich für die auf­tak­ti­ge Ver­si­on und kor­ri­gier­te dann das ge­sam­te Ma­nu­skript ent­spre­chend. Das voll­stän­di­ge Feh­len von Ar­ti­ku­la­ti­on und Dy­na­mik lässt zudem ver­mu­ten, dass die Va­ria­tio­nen in die­ser Form noch nicht end­gül­tig aus­ge­ar­bei­tet waren. Zwar ent­hält das Au­to­graph schon einen Titel, aber eine ex­pli­zi­te Wid­mung fehlt – wenn man ein­mal von einer bis­lang nicht auf­ge­lös­ten kryp­ti­schen Ab­kür­zung ab­sieht, die in der Ge­samt­aus­ga­be als „f. d. L. h. n. [oder e?] J.“ über­tra­gen wird. Ob sich da­hin­ter eine Wid­mung „für die Liebe … Jo­se­phi­ne“ ver­birgt? Wir wis­sen es nicht.

Was wir aber aus der au­to­gra­phen Über­lie­fe­rung der vier Sätze er­ken­nen kön­nen, ist Beet­ho­vens pe­ni­bles Ar­bei­ten an die­sen klei­nen Bei­trä­gen zur gräf­li­chen Haus­mu­sik. Selbst das Au­to­graph der ge­ra­de mal 45 Takte zäh­len­den So­na­ti­ne WoO 43a weist meh­re­re Über­ar­bei­tungs­stu­fen auf. Es war Beet­ho­ven also of­fen­bar wich­tig, hier gute Ar­beit zu lie­fern. Ob die Stü­cke des­we­gen frei­lich – wie jüngst mal wie­der an­läss­lich einer Neu­ein­spie­lung des Ada­gio for­mu­liert wurde – als ve­ri­ta­ble Lie­bes­brie­fe Beet­ho­vens an die Com­tesse zu lesen sind, steht dahin. Aber gute und wo­mög­lich von Her­zen kom­men­de Musik reicht ja ei­gent­lich auch. Blät­tern Sie doch mal rein in un­se­re Aus­ga­be – oder lau­schen Sie ein­fach die­ser wun­der­ba­ren Auf­nah­me des Ada­gios mit Be­glei­tung eines his­to­ri­schen Ham­mer­kla­viers ( Youtube)

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